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„Langfristige Verwirklichung menschenrechtlicher Neuordnung“

■ Der Veranstalter des Berliner Kongresses über Migrationsforschung, Dr. Blaschke, forderte die wissenschaftliche „Steuerung der Menschenströme“

„Zwei Welten: Migranten, Entwicklung, Metropolen“ lautete der vielversprechende Titel einer „europäischen Konferenz“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Von Donnerstag bis zum Sonntag wechselten Podien, Workshops, Vorträge einander ab. An Geld und Material herrschte kein Mangel: Die Veranstalter präsentierten 150 ReferentInnen aus aller Herren Länder; man sprach über Migration in Afrika und im Nahen Osten, über Migration in Osteuropa und Mittelmehrraum, über Migration und Kunst und über die Perspektiven der klassischen Migrantenstädte Wien und Berlin. Vor allem aber ging es um eines: um „Stand und Perspektiven der Migrationsforschung“. So war es wohl konsequent, daß sich kaum ein Migrant in die heiligen Hallen verirrte und Veranstalter und Referenten in den schütter besetzten Sälen mehr oder weniger unter sich blieben. Die Referate waren zum Teil wichtig und informativ, etwa das von Victor Voronkov über die monströse Realität von Flucht- und Vertreibung innerhalb der ehemaligen Sowjetunion oder jenes von Rainer Bauböck über das deutsche und österreichische Verständnis von Staatsbürgerschaft, das, anders als in Frankreich oder Großbritannien, immer noch an den Begriff der Abstammung gebunden und entsprechend restriktiv ist. Doch werden diese Beiträge bald gedruckt vorliegen (Edition Parabolis, Berlin), und daher nehmen wir uns die Freiheit, weniger über die Konferenz, als über den „schillernden“ Veranstalter zu berichten.

Eingeladen hatte das als privater, gemeinnütziger Verein organisierte, 1978 gegründete „Berliner Institut für Vergleichende Sozialforschung“; Spiritus Rector war der Leiter dieses Instituts, Dr. Jochen Blaschke (45). Seit Herbst 1991 residiert das „Berliner Institut“, wie es sich in aller Bescheidenheit abkürzt, im Ostberliner Bezirk Prenzlauer Berg— ein Ortswechsel, der insbesondere die Zuweisung von 50 ABM-Stellen (40 Stellen Ost, 10 West) und einige Investitionszulagen zur Folge hatte. Das Institut konzentriert sich auf „Wissenschaft und Forschung zu Migration und ethnischen Beziehungen“. Da es sich hierbei „um ein brisantes Problemfeld“ handele und „der Forschungs- und Beratungsbedarf außerordentlich hoch“ sei, kann „die Arbeit des Berliner Instituts mit seiner Sammlung von Daten und Material als ein großer Gewinn für Berlin angesehen werden“, so jedenfalls sah es die damals noch amtierende rot-grüne Wissenschaftssenatorin Riedmüller 1990 anläßlich einer Institutsfeierstunde.

Die Forschungsprojekte des Instituts werden von der Berliner Ausländerbeauftragten ebenso wie vom Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit gefördert, von Jan Philipp Reemtsma, der DFG oder Senatsverwaltung für Wirtschaft — um nur einige Geldgeber zu nennen. Und in der Tat — der Output ist bemerkenswert: Ein Jahrbuch, die Vierteljahrs-Zeitschrift 'Migration‘, Bibliographien, Handbücher, Weltflüchlingsbericht, 50 Arbeitshefte, Monographien, Pressedokumentationen usw. usf. erscheinen in der eigens gegründeten Edition Parabolis. Die Datenbank des Instituts wächst sprunghaft, zur Zeit können 60.000 Titel zum Thema „Migration“ nachgewiesen werden. Was bedeutet es angesichts solcher klotzigen Erfolge, wenn auf den Kongreßfluren einige Mißgünstige etwas vom „Vereinigungsgewinnler“, von der „schillernden Figur Blaschke“ murmelten? Sein feudaler Führungsstil ist ohnedies bekannt. Interessanter sind die wissenschaftlich-praktischen Positionen Blaschkes. Die lauten in zahllosen Veröffentlichungen und Statements, um jeweils einige Textbausteine gekürzt oder angereichert, etwa so:

Besonders seit dem sich die Welt in den letzten Jahren dramatisch veränderte, ist es notwendig, „eine globale Sichtweise internationaler Bevölkerungsbewegungen zu entwickeln“. Blaschke geht es nicht um diese oder jene politische Meinung, sondern um „Differenzierung“. Auf dem Feld des Aufdröselns ist er Meister, hier fließen die Gelder, hier entwickelt sich Politikberatung. Seine Wissenschaft versteht er als „politikfern und daher politisch relevant“. Es geht ihm um „die Steuerung der Migrationsströme aus Osteuropa“: Alle „fragen nach Migrationssteuerung — wir, die Wissenschaftler, müssen das hinkriegen“. „Politikorientiert“ forschen Blaschke und MitarbeiterInnen darüber, was mit den „umherschwirrenden Migranten“ geschehen soll, wie sie unterschieden werden könnten. Demnach ist zum Beispiel eine „Sonderregelung für jugoslawische Bürgerkriegsflüchtlinge“ überfällig, eine Unterscheidung nach „Migrationstypen“ erforderlich, ebenso ein „Sondermigrationssystem für Roma“. Gefragt, was er sich darunter vorstelle, antwortete Blaschke: „Ja, das sind eben besondere gesetzliche Regelungen für Zigeuner: etwa die Ausgabe von speziellen Zigeunerpässen. Oder auch der Versuch, die Zigeuner-Eliten herauszufinden und mit ihnen zu kooperieren, um konkrete Strategien zu entwickeln.“

Blaschke fordert „Networking auf lokaler und internationaler Ebene — eine stärkere Unterstützung derjenigen Forscher, die an der Peripherie arbeiten“. Daten! Daten! Aber natürlich geht es, entsprechend der Selbstbeschreibung des „Berliner Instituts“, auch darum, im Auftrag der Thyssenstiftung herauszufinden, „ob Institutionen, die zur Linderung des Flüchtlingsproblems eingesetzt wurden, selbst eine Sogwirkung auf Fluchtbewegungen ausüben und folglich verstärken“.

Blaschke will die Migrationsforschung neu in Deutschland etablieren, bedauert, daß diese Diziplin nach dem Zweiten Weltkrieg „zu einem statistischen Nebenschauplatz der Demographie verkam“. Davor nämlich sei diese Wissenschaft durchaus intakt, „an der sozialen Frage jener Zeit“ und „weitaus kritischer orientiert“ gewesen. Gerade so, als hätten Migrationswissenschaftler wie Friedrich Burgdörfer und Richard Korherr nie für Heinrich Himmler gearbeitet; gerade so, als wären in Deutschland nie Aufsätze über die „Wanderungsbewegungen des jüdischen Volkes“ erschienen, als hätten sich deutsche Migrationswissenschaftler nicht schon einmal und sehr speziell „mit dem Bevölkerungsdruck an der deutschen Ostgrenze“ beschäftigt und „entsprechende Lösungsmöglichkeiten“ vorgeschlagen. Was Blaschke heute so schlicht und einfach als „Steuerung der Weltmigration“ fordert, war in der 30er und 40er Jahren die Forderung, „die Ära der liberalen Weltwirtschaft mit ihrer Freizügigkeit der Arbeitskraft zu beenden“. „Die Zukunft“, so schrieb es einer der damals führenden Migrationsforscher im „Archiv für Wanderungswesen“, „gehört der Wanderung in der Hand des Staates — einer streng gelenkten, nach den Gesichtspunkten des völkischen Gesamtinteresses ausgerichteten Wanderung.“

Was nach Blaschke heute im „Chaos“ der individuellen und behördlichen Einzelentscheidungen fehlt, ist die wissenschaftliche Durchdringung und Beherrschung des „global village“, mit dem Ziel einer „Neuordnung des Weltmigrationssystems“. Und da die Angelsachsen auf dem Kongreß immer wieder das für die empirisch-komparativ arbeitende Sozialwissenschaft etwas sperrige Wörtchen „Menschenrechte“ bemühten, sprach Blaschke denn flink und dynamisch von der „langfristigen Verwirklichung menschenrechtlicher Neuordnung“.

Offene Kritik an dieser Konzeption regte sich während des Kongresses ein einziges Mal: „Migrationswissenschaft ist nicht wertneutral“, sagte der Grieche Harris Katsoulis. „Ziel ist die Beseitigung der Migration. Aber die Leute, die einen Beruf haben, setzen auf die Verewigung ihres Berufes. Wo sind hier die Migranten? Das Ziel sollte sein, daß die Migranten selbst reden, daß sie von Studienobjekten zu Subjekten der Geschichte werden.“ Aber es gab auch eine implizite, höfliche Kritik am sozialtechnologischen Impetus des Dr. Blaschke. Howard Adelman aus Toronto formulierte sie so: „Wir setzen nicht auf zentrale Planung, wir setzen uns mit dem auseinander, was ist.“ Götz Aly

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