piwik no script img

„Der Grüne Punkt ist kein Ökosiegel“

■ Mit Umweltschutz hat der Punkt auf dem Plastik nichts zu tun — um so mehr mit einem Milliardengeschäft

Der Gesamtverband des Berliner Einzelhandels hat Angst — vor seinen Kunden und seinen Mitgliedern. Wenn am 1. April die zweite Stufe der Verpackungsverordnung in Kraft tritt, könnten die Einzelhändler einmal mehr zum Opfer wilder „Auspack-Aktionen“ werden — von Kunden, die an der Kasse ihren Einkauf um überflüssige Verpackungen reduzieren und den Kaufmann damit alleinlassen. Das, so die Einzelhändler schon mal prophylaktisch, müsse man sich nicht gefallen lassen. „Kein Initiator derartiger Aktionen weiß im voraus, wie weit Kulanz und Geduld des betroffenen Kaufmanns im Einzelfall reichen.“

Die Einzelhändler irren: Die Geduld spielt im Gesetz keine Rolle. Der Gesetzgeber verpflichtet obigen Kaufmann vielmehr, Kundinnen und Kunden „in der Verkaufsstelle oder auf dem zur Verkaufsstelle gehörenden Gelände Gelegenheit zur Entfernung und kostenloser Rückgabe der Umverpackung zu geben“.

Wer also künftig seinen Walkman im Karton und die Schere mit Blister kauft, darf beides getrost dem Kaufmann zur Entsorgung übergeben. Danach kümmert sich das Duale System um die Walkman-Verpackung aus Plastik, zumindest wenn er den berühmten Grünen Punkt trägt und in den rund einhundert Kommunen anfällt, in denen das Duale System (DSD) schon arbeitet.

Mit Umweltschutz hat der Punkt nichts zu tun. „Der Grüne Punkt ist kein Ökosiegel“, so DSD-Sprecherin Edelgard Bially. „Die Verpackung ist mit Punkt auch nicht umweltfreundlicher, als sie es vorher ohne war.“ In Nordrhein-Westfalen hat der Grüne Punkt sogar dafür gesorgt, daß einige Brauereien nur noch zwei Drittel ihres Biers in umweltfreundlichen Pfandflaschen anbieten. Auf jeden Fall aber steht der Grüne Punkt für ein großes Geschäft. Sieben Milliarden Mark sollen im Anlauf in den Aufbau eines zweiten Sammel- und Sortiersystems gesteckt werden — mehr Tonnen, mehr Müllaster und rund 200 Sortieranlagen sind geplant. Sammlung und Sortierung des Verpackungsmülls werden in den kommenden Jahren ein Milliardenmarkt, an dem auch Großkonzerne wie das RWE verdienen wollen. Fürs Sortieren nutzt die Industrie „Steinzeittechnik“, so Gerd Billen von der „Verbraucherinitiative“. Der Müll werde auf ein Förderband gekippt und dann von Hand sortiert. „Den Plastikbecher bekommen die auch nicht aus der Konservendose heraus.“ Der Rest landet dann auf der Deponie.

Etwa die Hälfte der heutigen Verpackungen besteht aus Kunststoff, und der ist sehr schwer wiederzuverwerten. 50.000 Tonnen davon sollen nach Angaben der DSD 1992 recycelt werden. Maximal 120.000 Tonnen glaubt die chemische Industrie zu Parkbänken und Blumenkästen verarbeiten zu können.

Duales System macht Verbraucher zum Täter

Doch der Kunststoffberg wird immer größer. 600.000 Tonnen sollen es 1995 sein. Und weil die Recycling-Anlagen nicht nachkommen, geht die DSD inzwischen davon aus, in Kürze Kunststoff-Zwischenlager einrichten zu müssen. Wo ist noch unklar, nur wer's bezahlt, wissen die Manager des Dualen Systems schon: die Verbraucher. Bevor der Plastikmüll über den DSD-Managern zusammenschwappt, werde man eher „den Firmen mit Plastikverpackung den Grünen Punkt entziehen“, droht Bially.

Weil all das nicht reicht und doch weiter in Plastik verpackt werden soll, wird exportiert. „Die finden irgendeinen Abnehmer in Hongkong, der bestätigt, daß das Zeug verwertet wird. Das reicht dann“, befürchtet Verbraucherschützer Billen. Er sieht schon das Feuer der Verbrennungsöfen aufziehen. „Besonders gefährdet sind auch Polen und die CSFR.“ DSD-Sprecherin Bially muß zugeben, „daß es schwarze Schafe gibt“ in der Entsorgungsindustrie. Aber alle notwendigen Informationen zur Überwachung gingen an die Landesbehörden. Die müßten dann eben überwachen — „wenigstens Stichproben machen“. Und dann zieht sich die DSD-Vertreterin hinter die Zinnen der EG zurück. Das Verpackungsmaterial sei schließlich kein Müll, sondern ein Wirtschaftsgut, in der EG frei handelbar. „Sekundärrohstoffe wie Altpapier werden schon lange international gehandelt.“

Die plausibelste Lösung ist dem Dualen System zum Opfer gefallen: Müll wirklich vermeiden, statt ihn zum Verbrennen um die Welt zu schicken. Das Duale System fördert im Gegenteil die bequeme Einwegverpackung. Der Verbraucher wird zum Täter gemacht, als Einzelkämpfer bleibt ihm nur, möglichst viel Mehrweg zu kaufen, auch wenn der Einkaufskorb am Grünen Punkt nicht gänzlich vorbeikommt.

Verbraucherschützer wie Gerd Billen setzen auf die Macht einsichtiger Konsumenten. „Der Grüne Punkt muß auch an ökologische Kriterien gekoppelt werden. Andernfalls werden wir zum Boykott des Systems aufrufen.“ Hermann-Josef Tenhagen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen