: Links-Rechts-Schemata sind passé
Beim zweiten Durchgang der französischen Kantonalwahl verlor der PS ihre ältesten Bastionen/ Suche nach neuem Premierminister bisher erfoglos/ Delors bleibt in Brüssel ■ Aus Paris Bettina Kaps
Das Wunder ist ausgeblieben. Der zweite Durchgang der Kantonalwahlen bescherte Frankreichs Sozialisten am Sonntag ein Desaster, das noch schlimmer ausfiel, als befürchtet. In fünf Generalräten mußte die Regierungspartei die Mehrheit an die konservative „Union für Frankreich“ (UPF) abgeben. Die Sozialisten verloren zudem ihre Bastionen: Die Dordogne war immer links, im Departement Nord war die Linke seit 1934 an der Macht, im Departement Drome seit Kriegsende. Auf regionaler und lokaler Ebene wird Frankreich nun fast ausschließlich von konservativen Politikern regiert.
Die kandidierenden Regierungsmitglieder hatten eindeutig einen Malus. So wie zuvor schon bei den Regionalwahlen, schnitten sie auch bei den Kantonalwahlen schlecht ab. Sieben mußten im zweiten Wahlgang antreten, einer von ihnen, Sozialminister Bianco, wurde in Südfrankreich geschlagen. Premierministerin Cresson wurde die Demütigung gerade noch erspart: Sie konnte ihren Kanton mit 174 Stimmen behaupten. Bildungsminister Jospin schlug seinen Gegner haarscharf mit 52 Stimmen. Mit bitterer Mine gestand Parteichef Laurent Fabius am Abend die „ernsthafte Niederlage“ ein.
Dank des Mehrheitswahlrechtes profitierten die Konservativen vom Niedergang der Sozialisten. Dennoch kam auch bei der UPF keine Freudenstimmung auf. Mehrere Notabeln wurden geschlagen, weshalb der Oppositionspolitiker Mehaignerie das Ergebnis als „Mißbilligung der gesamten politischen Klasse“ interpretierte. „Die Franzosen wollen Erneuerung“, sagte der Chef der Zentristen. Mehrere Oppositionsführer forderten vorgezogene Neuwahlen.
Nach dreijähriger Wahlpause haben die Abstimmungen in Regionen und Kantonen bewiesen, wie sehr sich die politische Landschaft verändert hat. Das alte Links-Rechts- Schema funktioniert nicht mehr. Während es früher üblich war, daß im zweiten Durchgang nur noch die bestplazierten Politiker des linken und des rechten Lagers gegeneinander antraten, blieben diesmal die Kandidaten der Randparteien bis zum Ende im Rennen.
Die Sozialisten sind isoliert, die „Union der Linken“ endgültig passé: Die kommunistischen Wähler unterstützen sie nicht mehr. Um Mehrheiten zu bilden, muß sich die PS neue Bündnispartner suchen. Doch auch die 1988 von Präsident Mitterrand eingeleitete „Öffnung zur Mitte“ ist gescheitert. Mitterrand hatte versucht, die politische Mitte über einzelne Personen, aber ohne Koalitionen einzufangen. Symbole dieser angeblichen Öffnung waren Jean- Pierre Soisson, Postminister Rausch und Umweltminister Lalonde. Auf Soisson und Rausch lastet seit Freitag der Verdacht, daß sie mit Stimmen der Front National zu Regionalpräsidenten gewählt wurden. (Während Soisson an seinem Amt in Burgund starrköpfig festhält, entschloß Rausch sich am Montag endlich, den Weg für Neuwahlen in Lothringen freizumachen.) Lalonde hat sich als Chef der Umweltpartei Generation Ecologie zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten der PS entwickelt. Er stellt die „ökologische Solidarität“ über die Solidarität mit seinen Regierungskollegen. Es sieht nicht so aus, als könnten die Sozialisten aus eigener Kraft neue Partner um sich scharen.
Auch die Konservativen werden neuerdings von ihren Randgruppen gemieden, was ihrem Ansehen allerdings nützt: Die UPF hat bewiesen, daß sie der rechtsextremen Front National keine Zugeständnisse mehr macht. Im Gegenzug hielten fast alle FN-Politiker ihre Kandidatur im zweiten Wahlgang aufrecht, was der UPF Stimmen kostete. Wo kein FN- Kandidat antrat, stimmten die FN- Wähler treu für das rechte Lager. Damit haben die Wahlen auch noch das Argument der PS widerlegt, sie sei das einzig wirksame Bollwerk gegen die braune Gefahr.
Der Wahlabend zeigte, daß in Frankreich ohne politische Führer darsteht. Im Fernsehen wagte sich nur die zweite Garde zu Wort; die alten Chefs blieben unsichtbar. Ob sie verstanden haben, daß die Franzosen neue Leute an die Macht wünschen? Populär sind in Frankreich heute der Präsident der EG-Kommission, Jacques Delors, Umweltminister Brice Lalonde, der Minister für humanitäre Angelegenheiten Bernard Kouchner oder Kulturminister Jack Lang.
Gewiß suchen die Sozialisten vor allem unter diesen Politikern nach einer solchen „neuen“, unverbrauchten Person, die sich opfern und den Karren noch aus dem Dreck ziehen könnte. In Frankreich wird erwartet, daß Präsident Mitterrand spätestens heute reagieren und die Regierung umbilden wird. Die Mehrheit der Franzosen und selbst zahlreiche Sozialisten fordern die Absetzung von Edith Cresson. Ein neuer Regierungschef muß aber erst gefunden werden. Delors lehnte es am Montag bereits dankend ab, sich als Retter der PS die Hände schmutzig zu machen. Unterdessen wünschen immer mehr Franzosen, daß Francois Mitterrand sein Amt nicht bis 1995 ausüben, sondern durch einen vorzeitigen Rücktritt wieder Bewegung in die politische Landschaft bringen möge. Bettina Kaps
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