: BIS HIGH NOON IM BETT BLEIBEN Von Ralf Sotscheck
Was an Aprilscherzen lustig sein soll, ist mir bisher verborgen geblieben. Warum soll man den garstigen Kleinen auch noch eine Legitimation liefern, wo man doch ohnehin stets von ihnen verarscht wird? Bei meinem Sohn Fionn hatte sich schon im Alter von fünf Jahren ein besonders bissiger Humor entwickelt. Als er eines Morgens beobachtete, wie ich mir die — zugegeben etwas schütteren — Haare kämmte, bemerkte er trocken: „Mach dich doch nicht lächerlich.“ Verständlich, daß ich am 1. April besonders auf der Hut bin.
Doch kann der Schuß auch nach hinten losgehen. Die eingeschlagene Autoscheibe hatte ich sofort als Aprilscherz entlarvt. Es war keiner. Vermutlich minderjährige Autoknacker — ein Marsriegel war entwendet worden — hatten zum dritten Mal innerhalb eines Monats das Seitenfenster eingeschlagen. Die Glaserei bot mir ein Abo an. Hatte der Glaser Kinder? Die harmlosen Zeiten, als man mit einem angeblichen Loch in der Hose hereingelegt wurde, sind jedenfalls vorbei.
Aprilscherze sind laut Tradition nur bis zwölf Uhr Mittags zulässig. Diese Zeit ist besonders gefährlich, laufen die Kids doch zum High Noon nochmal zur Höchstform auf. Aber auch danach ist man nicht sicher. Vor ein paar Jahren las ich im 'Observer‘ einen Artikel über eine Beatles-LP, die 1977 in Los Angeles aufgenommen worden und jetzt auf den Markt gekommen war. „Ist ja interessant“, dachte ich mir auf dem Weg zum Plattenladen. Erst beim mitleidsvollen Grinsen der Verkäuferin ging mir ein Licht auf. „Sie sind heute schon der Dritte“, tröstete sie mich. Immerhin gibt es in Dublin also zwei weitere gutgläubige Menschen.
Durch Schaden wird man angeblich klug. Tatsächlich gelang es mir im vergangenen Jahr, einen Beitrag im Radio-Morgenmagazin auf Anhieb als Ente zu identifizieren: Bei „Glenroe“ sollten Nacktszenen eingeführt werden. Nun ist „Glenroe“ die irisch-katholisch-ländliche Variante von Dallas: Das Frivolste, das bisher gezeigt wurde, war ein Damenschlüpfer auf der Wäscheleine. Mick Lally, der in der Serie das Landei schlechthin spielt, erklärte im Interview scheinheilig, er werde dabei „auf überhaupt gar keinen Fall“ mitmachen. Voller Schadenfreude lauschte ich der Flut von wütenden Anrufen, in denen die Einbehaltung der Fernsehgebühren angekündigt wurde, sollte auch nur eine Brustwarze gesendet werden. Die Geschichte hätte — wäre sie wahr gewesen — zweifellos eine Regierungskrise ausgelöst.
Aprilscherze sind am wirksamsten, wenn sie auf die Ängste und Vorurteile der Opfer abzielen. In England muß man nur die EG erwähnen. Der 'Guardian‘ behauptete vor ein paar Jahren, in Brüssel würden Pläne geschmiedet, um die Zeit zu dezimalisieren: Hundert Sekunden pro Minute, hundert Minuten pro Stunde, zehn Stunden am Tag und zehn Monate im Jahr. Da die Engländer der EG ohnehin alle Schlechtigkeiten zutrauen, will sie ihnen doch Meile, Unze und Pint wegnehmen, löste die 'Guardian‘-Geschichte einen Sturm der Entrüstung aus. Ein Wissenschaftler wies nach, daß auf diese Weise über zwölf Tage im Jahr abhanden kämen und es irgendwann im Juli schneien würde.
Angeblich haben die Römer den unseligen Brauch der Aprilscherze in Europa verbreitet. Aber warum Irland? Bis hierher sind sie doch nie vorgedrungen. Um das Schlimmste zu vermeiden, bleibe ich heute jedenfalls bis High Noon im Bett.
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