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Das Beschweigen von Geschichte

Die protzige Salier-Schau in Speyer  ■ Von Christian Gampert

Es nieselt in Speyer. Böse und wuchtig steht der Dom über der Stadt wie ein altes Ungeheuer, der Himmel grau, die Menschen träge. In dieser Kulisse findet eines der merkwürdigsten Kulturereignisse der letzten Jahre statt: Rund 3.500 Einzelstücke sind im Historischen Museum der Pfalz ausgestellt, um uns die Zet der Salier-Kaiser zu erklären — ein ziemlich hochtrabendes Projekt. Die CDU hat es geplant, die mittlerweile in Mainz regierende SPD wollte es nicht absagen. Dreimal mußte die Eröffnung verschoben werden wegen solcher Kleinigkeiten wie Grundwasser, Umbauverzögerungen, renitenter Leihgeber. Allein die Versicherungssumme der Exponate liegt bei schlappen 365 Millionen DM.

Es geht also um Großes. Trotzdem wird Konrad Weidemann, der Leiter des Unternehmens, nicht müde, uns zu erläutern, daß es sich bei seinem Reich der Salier nicht um eine Kunst-, sondern um eine kulturwissenschaftliche Ausstellung handele. Die mittelalterliche Epoche von 1024 bis 1125 solle dem Besucher gerade aus dem Blickwinkel des Alltags erschlosssen werden.

Das ist ein löblicher Vorsatz. In der Tat durchschreitet der Zuschauer zunächst nett gestylte Räume mit Kochtöpfen, Streitäxten, Schöpfkellen und Klappwaagen und beugt sich gerührt über Schachfiguren, mit denen sich alte Kleriker die Zeit vertrieben. Willig läßt er sich die Funktionsweise der Armbrust erklären und lernt, daß man seine Notizen im Jahre 1100 mit einem Griffel auf eine Wachstafel ritzte. Freundlich betrachtet er Kämme und Frauenschmuck, Münzen, Reitutensilien, Ofenkacheln und die Modelle von Wohntürmen. Und trotzdem beschleicht ihn schon in diesem halbwegs erträglichen Teil des Parcours die Ahnung, daß aus den vielen zusammengeliehenen Mosaiksteinchen sich kein Bild der mittelalterlichen Gesellschaft zusammensetzen läßt, das dem heutigen Betrachter nützlich wäre.

Wer eine Ausstellung veranstaltet, muß wissen, was er erzählen will. In Speyer hat man sich darüber keinerlei Gedanken gemacht: Hauptsache, man kann großartige Objekte präsentieren. Die elende Lage der Leibeigenen (immerhin über neunzig Prozent der damaligen Bevölkerung), die ständigen Fehden und Rangeleien der Adligen um Einfluß, der permanente Konflikt zwischen Kaiser und Kirche — diese Folie, auf der man die blutige Wirklichkeit der Epoche überhaupt erst inszenieren und mit Fundstücken anschaulich machen könnte, ist den Veranstaltern nur im Katalog ins Blickfeld geraten. Die Ausstellung zeigt davon nichts. Sie bietet im weiteren Verlauf nur Preziosen aus den Schatzkammern der Mächtigen, ohne sich eine eigene Position zu erarbeiten.

Zwei Beispiele: Eines der wichtigsten Exponate ist der „Annostab“, die Hirtenkrücke des Kölner Erzbischofs Anno, der als Führer einer Adligen-Clique den damals zwölfjährigen HeinrichIV. an Bord eines Rheinschiffs entführte, um selbst die Macht im Reich zu übernehmen. Davon ist nie die Rede, auch das mittelhochdeutsche Annolied ist offenbar unbekannt. Dafür erläutert man uns den „flachkugeligen Nodus“ und die „Krümme aus Elfenbein“ des Stabs, dessen Schlangenkopf „das Böse“ (was denn sonst?) symbolisiere.

Zweites Beispiel: Der „Schatz der Kaiserin Agnes“, der Gattin HeinrichsIII. Ein „gitterartiger Brustbehang“ mit Edelsteinen in „Zargenfassungen“, mehrere „Halbmondohrringpaare“ und weiteres Gerät sowie zwei Adler-Pfauenfibeln (Broschen), die als christliche Auferstehungssymbole, aber auch als Herrschaftszeichen zu sehen sind. Schön gesagt. Nur ließe sich an diesem Schmuck einiges zeigen (und in der Ausstellung dann weiterverfolgen): HeinrichIII. hat durch großzügige Schenkungen versucht, seine aus Poitou stammende Gattin als Ausländerin auch nach seinem Tode abzusichern (die demütigende Rolle der Frau im Mittelalter wird in Speyer sowieso ausgeblendet). Sein Sohn HeinrichIV. hat den Schmuck seiner Mutter dann, so die historische Rekonstruktion, an einen Mainzer Juden verpfändet, als er zu den Kreuzzügen aufbrach. Nach seiner Rückkehr konnte er den Schatz nicht mehr auslösen, weil die Juden inzwischen einem Pogrom zum Opfer gefallen waren und das Versteck unbekannt blieb. Erst 1880 fanden Kanalarbeiter das Geschmeide bei Bauarbeiten im Mainzer Judenviertel.

Die christliche Reise nach Jerusalem, einer der größten kolonialistischen Raubzüge der deutschen Geschichte: kaum ein Wort darüber in der Ausstellung. Die Judenpogrome: einfach vergessen, im letzten Raum dann zwei Grabsteine. Der Investiturstreit, also der politisch entscheidende Streit zwischen Kaiser und Papst um das Recht, Bischöfe zu bestimmen: nichts davon. Die Folge dieses Konflikts zwischen angeblich von Gott eingesetztem Kaiser und sehr weltlich wirtschaftender Kirchenmacht, nämlich der selbstverleugnende Gang HeinrichIV. nach Canossa — nicht vorhanden. Die Cluniazensische Kirchenreform, das Werk der fromm-dogmatischen Hardliner gegen die antizölibatären, etwas lebensfroheren Klosterbrüder: kein Kommentar.

Nun ist es nicht einfach, zu diesen Themen Ausstellungsstücke zu bekommen. Überhaupt ist der Besitz der Herrschenden über die Jahrhunderte weitaus haltbarer als die Hinterlassenschaft der Knechte, und verführt dazu, Geschichte von oben zu schreiben. Aber man stelle sich eine Ausstellung über das deutsche 20.Jahrhundert vor, in der Auschwitz erst gar nicht vorkommt und in der die Epoche nach „großen Geschlechtern“ (statt den Saliern schlagen wir vor: Thyssen, Flick, Krupp) beschrieben wird, statt nach ökonomisch-politischen Bedingungen: Man könnte sich dann gewiß an Einzelfunden wie Kanzler Kohls Ehering (Grabbeigabe) erfreuen oder an der Zahnspange von Juliane Weber oder an der Glocke, mit der die Kabinettsrunden eingeläutet wurden. Da die Macht des Katholizismus inzwischen gesunken ist, könnte man auf die Meßgewänder des Kardinals Höffner verzichten und statt dessen das Trikot des Uli Hoeneß ausstellen (der DFB: die Kirche von heute), in dem er den Elfer gegen die CSSR verschoß, damals, 1976. Die Frage ist nur: Sagt das etwas über die Bundesrepublik?

Genau nach diesem Strickmuster ist aber die Speyrer Ausstellung komponiert. Ich sehe sehr wohl die Objektnot für eine sozialkritische Perspektive auf das Mittelalter: Totzdem ist das offensive Prunken mit kunsthandwerklichen Kultgegenständen einfach widerlich. Es mag Leute geben, die beim Anblick eines Evangeliars von HeinrichIII. in Verzückung geraten oder den Krodo-Altar schon immer einmal umschreiten wollten — welche Bedürfnisse da befriedigt werden, wollen wir hier nicht weiterverfolgen. Aber auch in Speyer spielt man Schtonk: So wie die (gefälschten) Hitler-Tagebücher in Nullkommanix das Bedürfnis nach dem Führer wieder freisetzen, so ist die Salier-Ausstellung eine gediegene Einladung zur Rückprojektion deutscher Größenphantasien.

Allerdings: Ob des historischen Abstands steht man auch selber mit relativer Ehrfurcht vor diesen Fetischen und bewundert die handwerkliche Finesse jener Abhängigen, die das „Borghorster Reliquienkreuz“ oder den „Hezilo-Radleuchter“ gefertigt haben. Und gleichzeitig weiß man, daß durch die ausschließliche Präsentation von Hochkultur hier grausam deutsche Schinder-Geschichte umgelogen wird, daß die Goldbarren krachen.

Lebenserwartung von Leibeigenen im Mittelalter: 22 Jahre. Wir sehen weiter: ein Wandbild der Reichskrone, Modelle der Königspfalzen, die Goslarer Thronlehnen, seidene „Beinlinge“ aus dem Grab KonradsII., die Werke des Goldschmieds Roger von Helmarshausen, Kruzifixe, das Perikopenbuch (Handschriften von Gottesdiensttexten) HeinrichsIII., Bibeln, Reliquienkissen, Meßkelche, Grabplatten, Modelle mittelalterlicher Stadtstruktur, Buchmalereien. Ein großer sozialhistorischer Erzählfaden ist nicht erkennbar, um so deutlicher aber der ideologische Subtext, der die gesamte Unternehmung begleitet. Am Ende der Ausstellung darf der Besucher gar eine medievale Glocke anschlagen — für Speyrer Verhältnisse eine museumspädagogische Großtat.

Die Ausstellung formuliert viele fachwissenschaftliche Details, aber sie hat keine Haltung, keine Meinung zu ihrem Thema. Deshalb gerät sie ganz von allein in ein reaktionäres Fahrwasser. Konrad Weidemann, der Leiter der Salier-Schau, ein gemütlicher pfälzischer Riese mit Stentor-Stimme, beziffert die präsumptiven Kosten der Unternehmung auf runde sieben Millionen Mark. Dafür kann man vieles zusammenleihen und hübsch präsentieren. Nur Ideen, die kann man nicht kaufen.

Das Reich der Salier 1024 bis 1125. Historisches Museum der Pfalz in Speyer. Bis 21.Juni täglich von 9 bis 19Uhr, dienstags und donnerstags bis 21Uhr. Führungen täglich ab 9.30Uhr, alle zwei Stunden.

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