MIT JUBILÄUMSFEIERN AUF DU UND DU: Opfer staatlicher Willkür?
■ Siemens feiert 100 Jahre in Frankfurts Alter Oper
Frankfurt/Main (taz) — Alle waren sie gekommen: Politiker aus Bonn, Wiesbaden und der Region, die Vorstandsmitglieder aus München und (fast) alle Beschäftigten der Siemens-Werke im Rhein- Main-Gebiet. 100 Jahre Elektrotechnik und Elektronik galt es in der Alten Oper würdig zu feiern. Denn vor exakt einem Jahrhundert, kurz vor seinem Tod, hatte Firmengründer Werner Siemens in der Mainmetropole ein Technisches Büro eingerichtet. Mit dem mit nur zwei Mitarbeitern „bestückten“ Büro wollte das Unternehmen auf die wachsende Konkurrenz reagieren und auf damals schon spezifisch „frankfordderischen“ Bedingungen aufbauen. Bereits im Revolutionsjahr 1848 hatte der Zeigertelegraph von Siemens die Beschlüsse der Nationalversammlung aus der Paulskirche ins ferne Berlin gemeldet. 1879 elektrifizierte Siemens den Zoo. Und 1884 ging in Frankfurt die längste elektrische Straßenbahnstrecke der Welt in Betrieb.
„Aus diesen Anfängen ist einer der größten Konzerne der Welt entstanden“, lobte Andreas von Schoeler ( SPD), Oberbürgermeister von Frankfurt, in seiner Laudatio. Und weil man an diesem „Jubeltag unserer Firma“, so Vorstandsmitglied Heinrich von Pierer, nichts von Bestechungsskandalen in der Konzernzentrale oder störträchtigen Atomanlagen in Hanau hören wollte, faßte sich Schoeler kurz. So kurz, daß auch die Schwarzen Listen keine Erwähnung fanden, die von der Stadt angelegt werden, um jene Unternehmen von der Auftragsvergabe auszuschließen, die in Bestechungsskandale verwickelt sind.
Es blieb dem hessischen Ministerpräsidenten Hans Eichel (SPD) vorbehalten, Wasser in den Festwein zu gießen, der gestern in der Alten Oper reichlich floß. Der Chef der rot-grünen Landesregierung erinnerte in seinem verbalen Streifzug durch die Historie der Siemens' daran, daß die ArbeiterInnen zu Zeiten der Gründung der Siemens- Frankfurt ihren ohnehin nur bescheidenen Wohlstand „gegen den entschlossenen Widerstand der Kapitalseite“ hätten erkämpfen müssen. Und er machte der Konzernspitze in seinem „Ausblick auf die nahe Zukunft“ deutlich, daß die von Siemens getragene Kernenergiewirtschaft in Hessen „no future“ habe. Da sah Vorstandsmitglied Pierer im Anschluß seine „Systemtreue“ mit Undank belohnt. Schließlich habe die Gesellschaft dem Staat das Mandat gegeben, bei der Energieversorgung der Republik zu einem erheblichen Anteil die Kernenergie einsetzen zu dürfen — und Siemens ist der Exterminator. Siemens-Hanau sei ein „Opfer von Willkürmaßnahmen“. kpk
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