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PiusXII. in der Zelltherapie

Über den Traum der ewigen Jugend und die Versuche der modernen Medizin, ihn zu verwirklichen. Ein Rückblick auf das 20.Jahrhundert  ■ Von A.J. Dunning

Der stämmige, bärtige Professor, der am 1.Juni 1889 vor seiner gelehrten Pariser Zuhörerschaft sprach, genoß die gleiche internationale Berühmtheit wie seine Kollegen Pasteur und Charcot. Der gelehrte Redner sprach in seinem Vortrag ausschließlich von sich selbst. Sein Name war Brown-Séquard — jede Generation Medizinstudenten lernt noch das nach ihm benannte Syndrom der halbseitigen Rückenmarksverletzung. An jenem Sommernachmittag in Paris sprach er von etwas anderem. Er sei, von französischen und ausländischen Akademien mit Lorbeeren bedacht, inzwischen 72 Jahre alt und habe sich alt und müde gefühlt, habe nur noch wenige Stunden hintereinander in seinem Labor arbeiten können und habe Schwierigkeiten beim Treppensteigen gehabt. In der zweiten Maihälfte habe er sich nach einer Reihe von Tierversuchen acht Injektionen verabreicht, die alsbald eine verjüngende Wirkung gezeigt hätten.

Brown-Séquard war kein Phantast, sondern ein gewissenhafter Forscher, auch wo es um ihn selber ging. Er maß die vermehrte Muskelkraft mit einem Dynamometer, einer Metallfeder, die mit der Hand zusammengedrückt wird, notierte seinen Urinstrahl vor und nach Injektionen bei gleich großer Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr und führte Buch über seinen Stuhlgang. Seine geistige Aktivität nahm zu, er konnte stundenlang ohne Pause im Labor arbeiten sowie Treppen hinauf- und hinunterrennen. Er fühlte sich wie Sechzig dank der acht subkutanen Injektionen und Hodenextrakten. Dafür nahm er Hoden von Hunden oder Meerschweinchen samt Blut und Sperma, Samensträngen und Nebenhoden und zerrieb sie in einer Glyzerinlösung. Das Filtrat injizierte er sich schließlich subkutan.

Ein Viktorianer spricht über Hoden

Er hatte sich dem Experiment in der Überzeugung unterzogen, daß sich dadurch die Funktion des zentralen Nervensystems und des Rückenmarks verbessern ließe. Letzteres schien angesichts der vermehrten Blasen- und Darmtätigkeit auch der Fall zu sein. Er glaubte an die Rolle der Hoden für die Lebenskraft des Menschen und verwies auf die Folgen funktionsbeeinträchtigter oder funktionsunfähiger Hoden bei Eunuchen, alten Männern sowie bei großem Samenverlust infolge von Masturbation und exzessivem Geschlechtsverkehr. Er hatte auch schon vorgeschlagen, alte Männer mit Injektionen männlichen Samens wieder vital zu machen. Bei aller Offenherzigkeit war er jedoch ein echter Viktorianer, der sich über die Auswirkungen seiner Entdeckung auf das eigene Geschlechtsleben ausschwieg.

Sein Bericht über den Selbstversuch war sachlich und schloß mit einem Appell an die Kollegen, zu untersuchen, ob er reproduzierbar sei. Brown-Séquard schloß Autosuggestion nicht aus, maß dem Schritt vom Labor zum Menschen jedoch so große Bedeutung zu, daß er sich bereitwillig als erste Versuchsperson zur Verfügung stellte. Selbstversuche bei Ärzten haben eine lange Tradition und haben mitunter reiche Frucht getragen. So schob sich der junge Assistent Forßmann 1929 einen Katheter durch eine Armvene bis ins rechte Herz, machte zum Beweis ein Röntgenfoto und erhielt 1956, inzwischen vergessener Landarzt, den Nobelpreis dafür, daß er als erster eine Herzkatheterisierung durchgeführt hatte.

Inzwischen hatte Brown-Séquards Botschaft, gestützt durch dessen Ruf, die medizinische Welt erreicht, die eifrig an Kranken, Schwachen und Alten herumzuexperimentieren begann. Es kam zu Entzündungen an der Einstichstelle, Wirkungen blieben häufig aus, und trotzdem wuchs das Interesse an Organextrakten. Es stellte sich nämlich heraus, daß Organe nicht nur äußerlich Lymphe, Magensäure oder Urin absonderten, sondern auch durch innere Sekretion wichtige Stoffe ins Blut ausschütteten. Die biologische Existenz hing nicht nur oder in erster Linie von der Koordination des Nervensystems ab, sondern auch von chemischen Stoffen, die 1902 vom britischen Physiologen Starling erstmals als Hormone bezeichnet wurden. 1885 entfernten Joseph von Mering und Oskar Minkowski in Straßburg die komplette Bauspeicheldrüse eines Hundes zu Untersuchungszwecken. Der Hund blieb am Leben, aber einem Studenten fiel auf, wieviele Fliegen sich auf seinen Urin stürzten, in dem Minkowski eine hohe Zuckerkonzentration feststellte. Der Hund litt an Zuckerkrankheit, weil mit der Entfernung der Bauchspeicheldrüse die Hormonproduktion eines blutzuckerregulierenden Stoffes, des später entdeckten Insulins, ausgeschaltet worden war. Einige Jahre später stellte sich heraus, daß sich aus dem Schilddrüsenextrakt von Schafen ein Präparat herstellen ließ, das Menschen mit ausgefallener Schilddrüsenfunktion heilen konnte. So war das von Brown-Séquard entfachte Interesse an der Organtherapie die Geburtsstunde der modernen Endokrinologie. Es sollte zwar noch Jahre dauern, bevor praktische Anwendungsmöglichkeiten vom Insulin bis zum Wachstumshormon, vom Schilddrüsenextrakt bis zum Cortison zur Verfügung standen, doch die experimentelle Grundlage war da. Brown-Séquards Lebenselexier hingegen war schon damals verfügbar und wurde in allen möglichen Labors hergestellt, die sich Nutzen und Einkünfte davon versprachen.

Die Verdrängung der Anekdote durch die Alchemie

Die Organtherapie verschwand innerhalb weniger Jahrzehnte aus dem medizinischen Arsenal, da die primitiven Extrakte keine nachweisbare Wirkung zeigten. Die Zusammensetzung ihrer Wirkstoffe war ebenso unbekannt wie deren Aufnahme im Körper. Die biochemische Regulation des Körpers mußte noch auf die biochemische Reinigung der Präparate warten, und mit seinem Hodenextrakt war Brown-Séquard seiner Zeit zu weit voraus. Es sollte noch bis in die dreißiger Jahre dauern, bis dem Amsterdamer Pharmakologen Laqueur die Isolierung des Wirkstoffs Testosteron gelang.

Daß Lebenskraft, Virilität und sexuelle Potenz an die Hoden gebunden waren, war bereits seit der Antike mit ihren Eunuchen bekannt. Tierhoden in Wein oder Honig wurden als Stimulanzien angeboten, wie sich in manch altem Arzneibuch nachlesen läßt. Das Tierexperiment als Grundlage medizinischer Forschung zur Klärung von Krankheitsmechanismen oder Herstellung von Arzneimitteln und Impfstoffen liefert am Ende des 19.Jahrhunderts die Möglichkeit zur kontrollierten wissenschaftlichen Forschung und verdrängt die Anekdote und die Alchemie.

In der Belle Époque mit ihrem gesteigerten Lebensgefühl entwickelt sich das Bedürfnis, die Vitalität bis zum Lebensende zu bewahren und den Altersverfall zu bekämpfen. Diese Vitalität ist an die Hoden gebunden, und sie sind dank ihrer Lage außerhalb des Körpes gut zugänglich. Daß alle Verjüngungskuren dem Mann und seiner Virilität galten, hing natürlich in erster Linie mit der untergeordneten Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft zusammen. Der Mann eignete sich als geriatrisches Untersuchungsobjekt und Versuchskaninchen auch besser als die Frau, deren Eierstöcke sich nicht gefahrlos erreichen oder manipulieren ließen; das sollte noch ein Jahrhundert dauern.

Der erste, der Brown-Séquards Versuche aufgreift, ist ein junger Wiener Physiologe namens Eugen Steinach, Direktor des biologischen Laboratoriums der Akademie der Wissenschaften. Seine Hypothese lautet, daß die Jugend durch die Pubertätsdrüsen, die Hoden, zu körperlicher und geistiger Entwicklung gebracht werde. Diese Hodenfunktion könne im Alter ein zweites Mal — zu zweiter Jugend — geweckt werden.

Der Beginn mit alten, räudigen Ratten

Er beginnt 1912 mit alten Ratten, die räudig, apathisch, mager, träge und mit brünstigen Weibchen nicht zu locken sind. Ihre Samenblasen sind schlaff und leer, aber Steinach wird sie durch Unterbindung des Samenstrangs und der abführenden Gefäße zu beiden Seiten im Leistenkanal reaktivieren. Die Folge ist eine Hypertrophie der Zellen aus den Geweben, die Testosteron produzieren, während die Bildung von Samenzellen nach kurzer Zeit aufhört. Die männlichen Geschlechtsmerkmale bleiben, aber die Unterbindung des Samenleiters bewirkt Sterilität. Steinach war jedoch der Meinung, durch die Unterbindung werde die Durchblutung der Hoden proportional zur ansteigenden Hormonproduktion zunehmen. Seine männlichen Ratten gaben ihm Recht. Sie nahmen an Gewicht und Behaarung zu, wurden flinker und aggressiver, und auch ihr sexuelles Interesse kehrte wieder, sogar wenn die Unterbindung nur einseitig erfolgt war. Steinach nannte das die autoplastische Altersbekämpfung mit körpereigenen biologischen Mitteln. Schlug die Behandlung fehl, so verpflanzte er die Keimdrüsen anderer, junger Ratten in die Bauchöhle oder Bauchwand der alten Tiere und konnte so doch noch gewisse Resultate verzeichnen. Die Ratten lebten ein Jahr länger als die ihnen in der Regel zugemessene Lebenszeit von drei Jahren. Für Steinach Grund genug, mit Hilfe des Wiener Chirurgen Lichtenstern den Schritt zum Menschen zu wagen.

Am 1.November 1918 war es soweit. Ein erschöpfter, abgemagerter und apathischer Wiener Arbeiter unterzog sich als erster der doppelseitigen Unterbindung der Samenleitung, doch in den ersten Monaten tat sich wenig. Kurz danach erholte er sich zusehens, hatte mehr Appetit, entwickelte wieder Muskeln und konnte seine Arbeit wieder aufnehmen. Haut und Haare glänzten, und wie neugeboren ging der erste Kronzeuge der Verjüngung durch Wien. Die Steinach-Operation, ein simpler Eingriff, der die Wirkung eines Lebenselexiers versprach, kam im Randbereich der Alltagsmedizin in Mode. Ältere Herren, die es sich leisten konnten, suchten gewisse Chirurgen auf, die den Eingriff vornahmen. Versierte Chirurgen publizierten ihre Erfahrungen, auch wenn sie erst nach Monaten eine positive Wirkung feststellten und selbst das meist nur bei einem Drittel ihrer Patienten. Steinach wurde von vielen als Scharlatan betrachtet. Er selbst war sich der Grenzen seiner Experimente wohl bewußt, denn das Gebiet des Alterns und dessen hormonale Beeinflussung war zu komplex für einen einzigen mittellosen Forscher. Er hoffte, daß andere unter besseren Voraussetzungen, in besser ausgestatteten Forschungseinrichtungen sein Werk fortführen würden. Das geschah auch, als Serge Voronoff, ein exzentrischer Russe, der in Paris studiert und sich in Afrika umgesehen hatte, schließlich die Nachfolge Bernards und Brown-Séquards als Chef des Laboratoriums für experimentelle Chirurgie am Collège de France antrat. Er hatte gründiche Erfahrungen in der Transplantationschirurgie von Haut, Schilddrüse, Knochen und Eierstöcken bei Versuchstieren gesammelt, sollte die Welt jedoch mit Hodenverpflanzungen beim Mann in Erstaunen versetzen.

Einzellige Organismen ließen sich im Pariser Institut Pasteur endlos weiterzüchten, aber die komplexen menschlichen Gewebe verfestigten sich mit zunehmendem Alter und bedurften einer Unterstützung, um vital und jung zu bleiben. Als Chirurg in Nordafrika hatte er ein Interesse an kastrierten Jungen entwickelt, die er geistig und körperlich zurückgeblieben fand. Er hatte auch noch keinen Eunuchen erlebt, der älter als sechzig geworden war.

Hodengewebe, in kleine Scheiben geschnitten

Daraus zog er den naheliegenden Schluß, daß der Verlust der inneren Sekretion der Hoden den Altersprozeß beschleunigt und die Lebenserwartung verkürzt. Die alten Hoden bedurften einer Unterstützung, aber die Steinach-Operation schien ihm nicht genügend Erfolg zu garantieren. Ebensowenig half die Verpflanzung junger Hoden unter die Bauchhaut, denn das Gewebe starb, wie Voronoff experimentell eindeutg bewiesen hatte, ohne ausreichende Durchblutung rasch ab. Die Gefäßchirurgie war noch nicht so weit entwickelt, daß kleine Verbindungen hergestellt werden konnten. Voronoff ging anders vor. Er nahm Hodengewebe, schnitt es in dünne Scheiben und pflanzte diese in die fleischige Umkleidung der alten Hoden ein. Dieses Polster ritzte er mit einem Skalpell oder Nagel ein, so daß sich durch diesen Reiz neue kleine Gefäße bildeten, die das Transplantat versorgen konnten, von dem er vier kleine Stücke neben beiden Hoden einpflanzte. Am spektakulärsten war dabei der Spender.

Hatten die Wiener Chirurgen für die Transplantation noch die Hoden junger Männer verwendet, die sich während der Pubertät nicht genügend gesenkt hatte, so nahm Voronoff nun Affendrüsen. Er hatte sich durch Hunderte von Operationen an Böcken und Stieren experimentell gut vorbereitet, wie sein 1926 erschienenes Buch über die Verjüngung mit den bemerkenswerten Fotos von Mensch und Tier vor und nach der Behandlung zeigt. Seine Position in dem berühmten Labor trug ihm von vielen Seiten Unterstützung ein. Zwischen 1913 und 1915 hatte er zwei Jungen mit angeborener Schilddrüsenunterfunktion und der damit einhergehenden Verzögerung der geistigen und körperlichen Entwicklung bereits die Schilddrüse eines Schimpansen eingepflanzt, des Tiers, das dem Menschen am verwandtesten ist. Da diese Affen jedoch nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung standen, entnahm er bei den nächsten Fällen den Müttern der betreffenden Patienten einen Schilddrüsenlappen, fand aber, die zuvor verwendeten Schimpansentransplantate seien bei weitem vorzuziehen.

Im Juni 1920 führte Voronoff seine erste Hodentransplantation durch, denen in den nächsten fünf Jahren dreihundert weitere, von ihm selbst oder von seinen Schülern in der ganzen Welt vorgenommen, folgen sollten. Ob das Transplantat anwuchs, ließ sich nur mikroskopisch feststellen, und wer würde die wiedergewonnene Jugend schon auf dem Altar der Wissenschaft opfern wollen? Ein tapferer Schneider, der sich dieser Operation 1922 unterzogen hatte, willigte ein, zwei der vier transplantierten Gewebestücke wieder entfernen zu lassen; das Gewebe erwies sich unter dem Mikroskop als intakt.

Das Spenderproblem jedoch schien unlösbar, bis man herausfand, daß auch kleine Affen wie die Makaken dazu geeignet waren. Makaken leben in Horden in Nordfarika und lassen sich leicht einfangen. Dennoch warnt Voronoff bereits 1926, sparsam mit ihnen umzugehen, diesem Quell von Lebensenergie, die sich auf den Menschen übertragen läßt, und sie notfalls wie Strauße zu züchten. 1923 hat Voronoff 43 Operationen durchgeführt, die Hälfte davon bei unter sechzigjährigen Patienten. Es sind Professoren und Kollegen darunter, Architekten, Schriftsteller und Industrielle; viele fühlen sich wie neugeboren und lassen sich für das Buch vor und nach dem Eingriff fotografieren. Jahrelang führen sie Buch über ihre Gesundheit, ihr Aussehen und ihr sexuelles Interesse.

Wo Brown-Séquard ein kritischer Forscher ist und Steinach mit dürftigen Beweisen von der Ratte auf den Menschen extrapoliert, ist Voronoff ein schillernder Missionar, der Wunderdoktor für alte Böcke. So wird er von der offiziellen Medizin auch kaum ernst genommen, doch das mehrt seinen Ruhm nur noch. In den Laboren der Pharmaindustrie und der Universitäten geht die Suche nach dem reinen Hormon weiter, denn niemand verspricht sich viel von dem chirurgischen Eingriff oder der Verwendung artfremden Gewebes. In den zwanziger Jahren werden das Insulin und das Nebenschilddrüsenhormon isoliert. In den dreißiger Jahren werden die wichtigsten männlichen und weiblichen Geschlechtshormone entdeckt, wobei sich zeigt, daß der Mann auch weibliche und die Frau auch männliche Hormone prodiziert. Testosteron und seine Verbindungen lassen sich synthetisch herstellen, aber kaum einsetzen, außer in den seltenen Fällen, in denen die Eigenproduktion infolge einer Krankheit oder Anomalie versagt. Als Heilmittel zeigt es ernsthafte Nebenwirkungen. In den fünfziger Jahren werden Derivate gefunden, die den Eiweißaufbau stärker stimulieren als das Testosteron und dabei weniger stark virilisieren. Sie werden bei Erschöpfung, nach großen Operationen oder bei Knochenerweichung kurzfristig eingesetzt, zeigen aber nur mäßige Wirkung und viele Nebenwirkungen. Die anabolen Steroide kommen größtenteils im Leistungssport zum Einsatz, da ihre Anwendung in kurzer Zeit die Muskelkraft erhöht, allerdings auch die Chance auf Leberschäden, Sehnenrisse und Unfruchtbarkeit. Das Lebenselexier ist im Verlauf der biochemischen Reinigung verdampft.

Ein prominenter Patient: William Butler Yeats, 1934

Dennoch bleibt der Wunsch, jung zu bleiben, auch wenn das Ende in Sicht ist. Der irische Dichter William Butler Yeats war 1934 neunundsechzig Jahre alt und allein. Er hatte den Nobelpreis gewonnen, aber die Gönnerin verloren, die ihn vierzig Jahre lang unterstützt und gefördert hatte, in der Poesie ebenso wie im politischen Kampf. Er litt an Blutdruck und Herzschwäche, und seine Kreativität schien zu versiegen. Yeats war ein Mystiker, der die kalte Wissenschaft verabscheute. Als er gerüchteweise von einer Verjüngungsoperation hörte, fand er in der Harley Street einen australischen Sexologen, der ihn zum Entsetzen seiner Freunde im Frühjahr 1934 nach der Steinach-Methode operierte. Die Operation schien Erfolg zu haben. Yeats berichtet in Briefen vom Wiederaufleben der sexuellen Begierde und verliebt sich in eine junge Dichterin. Die Dubliner nennen ihn den „gland old mán“, und er schreibt neue Gedichte. Eines davon, The Spur, lautet:

Er gibt das Oxford Book of Modern Verse heraus und arbeitet an einer Gedichtsammlung, als hätte er einen neuen Pakt mit dem Leben geschlossen. Fünf Jahre später stirbt er an der Riviera an Herzversagen. Was die Steinach-Operation für seine Dichtkunst bewirkt hat, wird auf ewig ein Rätsel bleiben, aber immerhin erlebte sie im späteren Alter eine zweite Blüte. Je weiter die Endokrinologieforschung vorankommt, desto weniger scheint das Lebenselexier für den Mann menschlichen oder tierischen Hoden zu entspringen, und auch der Frau wird die ewige Jugend wichtig.

Das weibliche Hormon Östrogen soll als synthetisches Präparat ersetzen, was mit der Menopause vom eigenen Körper nicht mehr produziert wird; es scheint das Allheilmittel gegen Falten, Osteoporose, Wallungen und Depressionen zu sein. Die Organotherapie mit Geweben und Zellen bleibt zwar ein Randgebiet der Medizin, entwickelt sich jedoch zum Zentrum der mondänen Quacksalberei. Der Schweizer Chirurg Niehans, der anfänglich von den Drüsentransplantationen fasziniert war, begann 1931 damit, Zellen aufzulösen, die zumeist aus den Organen junger Schlachttiere stammten, und sie Patienten zu injizieren. Speziell fetale Zellen sollten die Fähigkeit besitzen, kranke oder alte Organe zu verjüngen. Werden fetale Zellen von Schafen gefriergetrocknet, so entstehen Zellsuspensionen, die subkutan oder muskulär aufgenommen werden. Blutzellen bauen die Zellteile ab und transportieren die so entstandenen Makromoleküle zu den entsprechenden Organen — von der Leberzellsuspension zur Leber, die sie regenerieren sollen.

In der Zelltherapie: Konrad Adenauer, das Ehepaar Windsor

Die Zelltherapie wurde in der Nachkriegszeit vor allem in den deutschsprachigen Ländern propagiert, und zwar für die verschiedensten Leiden, insbesondere jedoch bei frühzeitigem Altern. Niehans, der große Missionar, war ein derart seriöser Schweizer, daß man zögerte, das Wort Scharlatan in den Mund zu nehmen. Seine Klinik in der Schweiz hatte denn auch prominente Kunden wie Adenauer, Papst PiusXII. und das Ehepaar Windsor. Einen anderen Wallfahrtsort gegen das Altern gibt es in Rumänien, wo Frau Aslan alten Menschen durch Injektionen mit Procain, einem örtlich wirksamen Betäubungsmittel, die Jugend wiederschenkt, und auch dorthin pilgert die Gerontokratie Osteuropas, um am Leben und bei guter Gesundheiz zu bleiben. In der Nähe von Rom wird Niehans' Werk von dem Transplanteur Bernard fortgeführt, der zwar als Chirurg nicht mehr arbeiten kann, in der ewigen Stadt jedoch wie ein Magnet diejenigen anzieht, die die ewige Jugend suchen.

Solange Menschen alt werden, wollen sie jung bleiben, und die einzige Frage ist, wieviel ihnen das wert ist, denn es ist eine Illusion, die durch eine andere Illusion aufrechterhalten werden muß. Die Suche nach dem Lebenselexier, von Brown-Séquard so gewissenhaft begonnen, ist daher auch keineswegs zu Ende. Als einziges Nebenprodukt hat sich bisher die Unterbindung der Samenleiter, die Vasektomie, behauptet. Es ist ein endgültiger Eingriff, da wir uns dann nicht mehr in unserer Nachkommenschaft verjüngen können.

Gekürzt aus: A.J. Dunning: Extreme. Betrachtungen zum menschlichen Verhalten. Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen. Eichborn Verlag, Die Andere Bibliothek, 280Seiten, geb., DM44. Ab Ende April im Buchhandel.

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