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Der Fall der Albanerin Suzanna Sabri Balluku

Über eine ungewöhnliche und engagierte Politikerin, die bei den Parlamentswahlen von vornherein keine Chance hatte  ■ Aus Tirana Christian Semler

Unweit der Repräsentationsbauten im Zentrum der albanischen Hauptstadt Tiranas, die, überwiegend das Werk italienischer Architekten, so schlecht nicht anzuschauen sind, beginnt die realsozialistische Trostlosigkeit: Unverputzte Wohnblocks, schlecht befestigte Straßen, dazwischen das Wirrwarr erdgeschossiger, von Mauern umgebener Häuser und Hütten. In einer dieser Behausungen, eher einem Schuppen von nicht mehr als zwanzig Quadratmetern Wohnfläche, ohne Toilette und Waschmöglichkeit, lebt Suzanna Balluku mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern.

Sie ist Sozialdemokratin und war die einzige weibliche Parlamentskandidatin der Hauptstadt — und sie ist eine der zahllosen Opfer der stalinistischen Unterdrückung, die auf Rehabilitation und Entschädigung warten. Seit sich die Vereinigung ehemaliger politischer Gefangener gegründet hat, entsteht aus den Namen der Strafanstalten, Arbeitslager und Verbannungsorte die Karte des albanischen GULAG. Frau Balluku, gelernte Juristin und Politikwissenschaftlerin, tritt aus der Opferrolle heraus. Mit der gleichen Verve, mit der sie einst die kommunistischen Ideale gegen Hoxhas Terrorregime verteidigte, will sie jetzt beim Aufbau eines demokratischen Albanien helfen.

Eine fortschrittliche Intellektuelle

Suzanna Balluku entstammt einer fortschrittlichen Intellektuellenfamilie. Ihr Großvater war nach dem Ersten Weltkrieg der Beauftragte des ersten und einzigen demokratischen Präsidenten Albaniens, Fan Noli, und trat für die Alphabetisierung des Landes ein. Sie selbst heiratete einen der Söhne des Generals Balluku, Mitglied der Inneren Führung der „Partei der Arbeit“ und Verteidigungsminister. Der Kreis um Balluku wollte vorsichtig die internationale Isolierung Albaniens aufheben, durch eine Politik der „Offenen Tür“ auch innenpolitisch Spielraum schaffen. Dabei stützten sich Balluku und seine Freunde auf den Reformflügel in der chinesischen KP, auf Deng Xiao Ping. Balluku trat gegen das kostenverschlingende Projekt der „Volksbunker“ auf, die heute noch Albaniens Landschaft verschandeln. Er wurde der Konspiration mit den chinesischen Revisionisten angeklagt und erschossen.

Die Familie traf, wie so viele andere auch, die Sippenhaft. Ein Sohn Ballukus wurde zu zwanzig Jahren Straflager verurteilt — wegen sozialdemokratischer Gruppenbildung. Der Mann Suzannas wurde in das Dorf Selenica verbannt und ins Bergwerk geschickt. Ihr selbst stellte man frei, sich scheiden zu lassen. Frau Balluku, damals hochschwanger, entschloß sich, ihrem Mann in die Verbannung zu folgen. Ihr erstes Kind verlor sie. Ihr wurde ärztliche Hilfe mit der Bemerkung verweigert, sie hätte keine großen Ansprüche mehr an das Leben. Suzanna Balluku mußte sich zweimal am Tag bei der Ortspolizei melden, bei Parteitagen und sonstigen wichtigen Parteiaktivitäten dreimal. Mehr als sechzehn Jahre lang arbeitete sie auf dem Feld, gemieden, manchmal gehaßt von der Dorfbevölkerung.

Hier, in Selenica, erlebte sie auch den bitteren Triumph, die Parteiführer Shehu und Kapo fallen zu sehen, die den Sturz Ballukus betrieben hatten. Nun wurde die Version verbreitet, alle drei seien Agenten des Westens gewesen und Balluku habe sich geopfert, als die Gruppe kurz davor war, aufzufliegen. Auch der Geschichte der Partei der Arbeit Albaniens wurde dieser horrende Schwachsinn einverleibt.

Rückkehr aus der Verbannung

Nach der Studentenbewegung des Dezember 1990 und der demokratischen Wende wurden die politischen Häftlinge entlassen, die Verbannten konnten in ihre Heimatorte zurückkehren. Suzanna Balluku arbeitet jetzt — neben ihrem politischen Engagement — als Geschichtslehrerin. Gerade ist sie im Jahr 1941 angelangt und muß den Kindern erklären, warum aus den guten Partisanen später so bösartige Tyrannen werden konnten. Oder war alles nur die Schuld Hoxhas?

Frau Balluku tritt entschieden für eine Politik der „Versöhnung“ ein. Diejenigen, die nachweislich schwere Verbrechen begangen haben, sollen sich verantworten müssen. Ehemaligen Mitgliedern der Partei der Arbeit, die jetzt in der albanischen Sozialdemokratie tätig sind, begegnet sie ohne Vorurteil. Nur wer mit den alten Mitteln der Intrige und Denunziation arbeitet, wird es mit ihr zu tun bekommen.

Frau Balluku ist von der sozialdemokratischen Gruppe in Tirana einmütig als Direktkandidatin nominiert worden. So ganz traut die sozialdemokratische Männerwelt aber dieser mutigen Frau nicht über den Weg. Auf der Landesliste ist ihr Name nicht zu finden. Und prompt wurde sie auch nicht gewählt und sitzt nun nicht im neuen albanischen Parlament.

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