Regen, Schnee und Straßenglätte

■ »Von Stau zu Stau« — Kabarett mit Arthur Fabian in der Scheinbar

Deutschland — ein Jammertal. In Berlin — die Sintflut wie zu Noahs Zeiten. Und dann will ein junges, hoffnungsvolles Kabarett-Talent auch noch selbiges am todestraurigen Thema Deutschland ersterproben. Von Stau zu Stau will Arthur Fabian eine ausgefallene Deutschlandreise unternehmen — na danke! Zur Genüge gesehen: eine Prise »Hau-den-Bayer«, Kohl durch den Kakao, Möllemann in den Müll, Bruttosozialprodukt auf Kosten des Ostens. Und das Ganze abgeschme(a)ckt mit dem Feinsten über selbstgestrickte Ökos und potenzgeile Pedalklumpfüße. Die Masche kennen wir.

Klaustrophobisch empfängt mich die Scheinbar, die nur scheinbar eine Bar ist und an der ein melancholischer Techniker namens José sitzt. Auf alles gefaßt sitze ich zusammengefaltet da, als sich plötzlich ein Hoffen anstaut: Heitere Kaberettzeiten, erwachet! (Bevor meine Fortbewegungswerkzeuge das Weite suchen),

Es tritt auf: Wladimir Iljitsch Grünberg, Charme um sich sprühend, und mit schmelzendem Griff in die Tasten flötet er, er brauche nur einmal zu grüßen, dann liegen ihm die Frauen zu Füßen. Mille Grazie, nicht mit mir, denke ich — und amüsiere mich dennoch über diesen Humor, der listig zwischen den Zeilen lauert, bis er plötzlich und unverhofft durch smarte Worte blitzt. Genauso unverhofft, wie's derzeit nur ein Sonnenstrahl über Berlin tun könnte. Arthur Fabian verzichtet in seiner Show, die zwischen Songs und Sprechkabarett wechselt, auf die Zutaten zweitklassiger Kabarettisten, die für ihr Deutschland-Menü doch immer nur aufwärmen, was andere vor ihnen schon besser gekocht, gegessen, verdaut haben.

Im Hochgeschwindigkeitszug brettert er über den Weißwurstäquator und läßt dortige Handlungsträger nur in einem Nebensatz als Chefdirigenten des Höllenorchesters auftreten. Nördlich vorbei am Atomkraftwerk Stade, in dessen allernächster Nähe die wettbewerbs-gekürte »MissBildung« Michaela (mit drei Beinen und Bartwuchs) wohnt, schlägt er einen imaginären Haken und zielt über das morastige Biotop Ost hinweg direkt auf Berlin zu. Freilich kann er in einem schwachen Moment nicht umhin, die Stasi-Debatte mittels eines Ex-IMs und jetzigem Privat-Wacheschiebenden vor der Treuhand aufzuwärmen. Da hilft auch das beste Berlinerisch nicht darüber hinweg — die Nummer ist keine müde Ostmark wert.

Zum Glück gibt es aber in Berlin auch die Olympia GmbH, bei der ja alles wie geschmiert läuft, und Diepgen wenigstens noch beim Wort genommen wird. Recht hat er: Olympia soll für alle Berliner eine Bereicherung sein — hohle Hände und dunkle Kanäle gibt es reichlich. Möglicherweise könnten die auch dafür verantwortlich sein, wenn die Siegessäule daeinst wie ein geschrumpfter Zahnstocher zwischen geilen Betonbunkern steht. Da freut sich doch ganz Berlin, vor allem aber der verklemmte Architekt, dem die Emanzen mit ihrer Stadtbaukritik ans Leder und Selbstbewußtsein gehen. Der Part gelingt Arthur Fabian nicht, weil der stotternde Architekt unwillkürlich wieder in das säuselnde Moderatoren-Geplauder verfällt, das ohne Modulation dahinplätschert. Und überhaupt: Wenn Arthur Fabian der Plappertasche Nasen-Gottschalck schon einen Logenplatz in der Hölle reserviert hat, wieso verfällt er dann diesem langweiligen Laberton, der hinlänglich aus den Samstagabendshows im Fernsehen bekannt ist? Das hätte er, der im Gepäck auch den Skinhead-Leistungskatalog mit der goldenen Kundenkarte für Spiegel-TV hat (Besuch eines Asylantenheims mit anschließender Molotowcocktail- Party für nur 600 DM), aus dessen Feder auch die Klavierstücke des Wladimir Iljitsch Grünberg (alias Fabian) sind, wirklich nicht nötig.

Und wer angesichts des trüben Wetters zur »freiwillig verursachten Vitalschwäche«, sprich Selbstmord neigt, dem sei hier gesagt, daß dies extrem egoistisch ist und jeglicher Nächstenliebe widerspricht, indem der Grundsatz »Deinen Dreck mach selber weg«, so der Zwangsberater für Selbstmordwillige, sträflich mißachtet wird. Und außerdem ist die Langeweile im Paradies schon so groß, daß Gott bereits mit Nietzsche Gott ärgere dich nicht spielt. Warum also soll's hier, im Lande des großen Straßenpropheten Günther Krause, besser sein? Na also. Und DT64 bringt die Endzeitstimmung auf den Punkt: »Schneefall und Straßenglätte behindern den Verkehr im ganzen Sendegebiet.« Der Samstagsverkehr schleicht von Stau zu Stau — unser Horizont, das sind die Bremslichter des Vorderwagens. Wie gut, daß es da noch andere Sternchen gibt, außer dem, der große Wagen und demnächst auch den Potsdamer Platz schmückt. Einer davon glänzt bescheiden in der Scheinbar. Petra Brändle

Von Stau zu Stau — Eine ausgefallene Deutschlandreise, heute und morgen um 21 Uhr.