: Sozialprojekte scheitern an der Miete
■ Studie vom Verein SO 36 über Auswirkungen steigender Gewerbemieten für Sozialprojekte/ Veranstaltung »Wahlprüfsteine für den Bezirk«/ Miete von 6,45 auf 27 Mark hochgesetzt
Berlin. Was viele KreuzbergerInnen bereits geahnt haben, ist am Donnerstag durch Veröffentlichung einer entsprechenden Studie bestätigt worden: Die Sozialprojekte im Stadtteil sind von der momentanen Gewerbemietenexplosion in besonderem Maße gefährdet. Obwohl nur knapp ein Viertel der von Regina Schütz für den Verein SO36 angeschriebenen Projekte den Fragebogen ausgefüllt zurückschickte, erlaubte die Studie dennoch eine Einsicht in die aktuellen und einen Ausblick auf die zu erwartenden Katastrophen. Mehr als die Hälfte der befragten Kreuzberger Sozialprojekte sind seit dem Mauerfall bereits mit Vertragsänderungen konfrontiert worden. Für gut zwei Drittel von ihnen haben sich die Existenzbedingungen verschlechtert, das heißt, Kündigungen sind durch den Vermieter ausgesprochen (29 Prozent) oder die Mieten erhöht worden (71 Prozent).
Im Durchschnitt beliefen sich die Mieterhöhungen für Sozialprojekte auf 74 Prozent — mit einer Spannweite zwischen 10 Prozent und über 500 Prozent. Von den bisher noch nicht belangten Projekten erwarten drei Viertel den Ablauf ihrer derzeit geltenden Mietverträge bis 1996 — eine Aussicht, der sie mit einigem Schrecken entgegensehen.
Zwar wird die überwiegende Mehrheit der Kreuzberger Projekte durch die entsprechenden Senatsdienststellen (Jugend, Soziales, Frauen, Gesundheit) unter anderem durch vollständige oder teilweise Mietübernahmen gefördert; diese haben jedoch bereits zum Ausdruck gebracht, daß auch sie nicht in der Lage seien, Mieten zwischen 20 und 30 Mark pro Quadratmeter zu bezahlen.
Und derartige Gewerbemieten werden im neuen citynahen Bereich durchaus gefordert — selbst dann, wenn es sich bei der Mieterin um ein alteingesessenes ImmigrantInnenprojekt und bei dem Vermieter um einen angeblich linken Betrieb handelt. Den Frauen, die ihren Fall noch nicht öffentlich machen wollen, weil sie noch in Verhandlungen stehen, flatterte eine Mieterhöhung von 6,45 auf 27 Mark ins Haus.
Sie waren nicht die einzigen, die am Donnerstag abend auf der Veranstaltung »Wahlprüfsteine für den Bezirk« ihre schiere Fassungslosigkeit zum Ausdruck brachten. Auch die MitarbeiterInnen aus der »Neuen Kindergruppe Kreuzberg« und »Kind in Kreuzberg«, denen die Verlängerung ihrer Mietverträge von den jeweiligen Vermietern verweigert worden waren, schwankten sichtbar zwischen Wut und Verzweiflung. »Wenn's hier demnächst knallt«, warf ein Mitarbeiter von KiK den anwesenden Bezirkspolitikern vor, »dann setzt ihr euch wieder zusammen und wundert euch. Aber unsere Projekte für schwierige Kinder und Jugendliche, die laßt ihr abstürzen.«
Gefragt waren Lösungsvorschläge und -ansätze der Politiker, die hier beweisen sollten, ob sie beziehungsweise ihre Parteien bezüglich der Sozialhilfeproblematik handlungsunfähig oder -willig seien. Gekommen waren der Wirtschaftsstadtrat Rolf-Jürgen Peter (CDU), der Jugendstadtrat Helmut Borchert (SPD), Rainer Bohne (AL) sowie diverse andere Mitglieder der BVV und Beamte der Senatsverwaltungen für Soziales und Jugend. Trotz der auffälligen Häufung des Satzes: »Da sind wir gar nicht für zuständig« und der ein oder anderen Wahlkampfredeanwandlung des ein oder anderen Politikers, wurden an diesem Abend zumindest einige Lösungsvorschläge angedacht, die überwiegend vom Verein SO36 eingebracht worden waren.
Eine zumindest kurzfristige Lösung könnte eine Änderung des Berliner Haushaltsplanes darstellen, die den entsprechenden Senatsdienststellen mehr Mittel als bisher zur Verfügung stellen würde, um den momentanen Druck, der auf den gefährdeten Projekten liegt, abzufangen. Des weiteren wäre mittelfristig eine verstärkte Nutzung von landeseigenen Gebäuden durch Sozialprojekte und langfristig die Durchbringung eines Gewerbemietenschutzgesetzes denkbar. Sonja Schock
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