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Riesengiftgrube Schönberg läuft aus

Giftige Bäche rund um Schönberg/ Lübecks Trinkwasser in Gefahr/ Weiterbetrieb vom Schweriner Umweltministerium ermächtigt/ Neue Messungen, obwohl die Kippe angeblich sicher für Giftmüll ist  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Berlin (taz) — Europas größte Giftmülldeponie, die Grube Schönberg an der ehemaligen DDR-Grenze, gefährdet das Trinkwasser im kaum zehn Kilometer entfernten Lübeck. Die Lübecker Grünen haben Untersuchungsergebnisse des Landes Schleswig-Holstein vorgelegt, nach denen in Oberflächengewässern nahe Lübeck und im Grundwasser dort „ein kontinuierlicher Schadstoffanstieg“ aus der Müllkippe festzustellen gewesen sei.

Das Lübecker Umweltamt hat nach der taz vorliegenden Papieren intern mehrfach geurteilt, daß mit Oberflächenwasser aus der Umgebung der Deponie Gift in Bäche der Umgebung gelangt sei. In Juni 1987 beispielsweise seien „fast alle Untersuchungsparameter deutlich angestiegen“, so das Amt. An der Mündung eines Bachs in den Dassower See nördlich von Lübeck seien damals deutlich erhöhte Werte für Zink, Arsen, Chrom, Nickel, Cadmium und Blei festgestellt worden. Zitat: „Dieser Anstieg ist auf einen niederschlagsreichen Monat und auf die anhaltenden Regenfälle vor und während der Probeentnahme und der damit verbundenen stärkeren Wasserführung der Jasbeck zurückzuführen. Er beweist somit, daß sich eine Beeinträchtigung durch die Deponie Schönberg abhängig von den Wetterbedingungen bemerkbar machen kann.“ Auch in dem der Hansestadt Lübeck als Trinkwasserreservoir dienenden Bach Wakenitz hatte das Umweltamt einen „kontinuierlichen Zuwachs organischer Halogenverbindungen“ festgestellt.

„Die größte Gefahr droht allerdings aus dem Untergrund“, so der Kieler Toxikologe Otmar Wassermann. Erhöhte Meßwerte von Zink und Aluminium in einigen Probebrunnen zeigten, „das Gift ist unterwegs“. Auch das Umweltamt Lübeck hatte schon 1989 gewarnt, daß selbst die euphemistischen DDR- Gutachten eine solche Gefährdung nicht ausschließen wollten. Wieviel genau unterwegs sei, so Wassermann, könne nur ein engmaschiges Meßnetz mit Testbohrungen zwischen Lübecks Wasserwerk und der Deponie klären.

Die Kieler SPD-Landesregierung bestätigte inzwischen die Meßergebnisse aus ihren Jahre alten Studien, glaubte aber die Bürger nicht gesondert informieren zu müssen. Ihr Pressesprecher erklärt, daß die „Einschätzung des Umweltamts Lübeck“ nicht nachvollziehbar sei.

Das Schweriner Umweltministerium als Genehmigungsbehörde der Giftgrube will den Verdacht, die Deponie sei undicht, mit Aufträgen für neue Studien begegnen. Das Ministerium gibt dabei inzwischen zu, nicht sicher zu sein, ob die Giftgrube leckt. Im Februar 1991 hatte der Schweriner Umweltstaatssekretär Peter-Uwe Conrad der Betreibergesellschaft noch ohne solche Untersuchungen per Ermächtigung den Weiterbetrieb und Ausbau der Deponie bis 1994 genehmigt.

Seitdem hat der ohnehin schwache Glaube an die gute Absicht der Genehmigungsbehörde mehrfach Schaden genommen. Im Osten der Kippe mußte eine ehemalige Kieskuhle zugeschoben werden. Offenbar paßte die deutlich sichtbare geologische Schichtung aus Kies, Sand und Tonadern dort nicht zu der Theorie, daß unter der Giftgrube 160 Meter Geschiebmergel für eine wasserdichte Abdichtung sorgen. Die Theorie von einer Grundwasserbarriere, die das Lübecker Grundwasser vom möglichen Deponiesickergift abtrennt, hat noch andere Löcher. Im Winter 1992 entdeckten Lübecker Grüne nämlich ein altes Wasserwerk mit einer Reihe von Brunnen genau auf der Barriere. Wenn es tatsächlich den Grundwasserschutz dort gäbe, dürften solche Brunnen nach ihrer Ansicht kein Wasser fördern. Im Tiefbrunnen des Wasserwerks wurden aber nach einem Gutachten aus dem Jahr 1942 für die Rüstungsfabrikation bis zu 2.500 Kubikmeter Wasser täglich abgepumpt — mitten aus einer Geschiebemergelschicht? Lübecks Oberbürgermeister Michael Bouteillier (SPD) sah sich nach der Entdeckung der Brunnen genötigt festzuhalten: „Unsere eigenen Gutachter haben die Existenz jener Barriere immer bezweifelt.“

Verschleierung gehört offenbar zu Schönberg wie der Giftmüll selbst. 1986, als die CDU in Kiel noch regierte, war die Barrierentheorie erstmals vor Gericht bei der Verteidigung des Deponiestandorts hinter der Grenze zu Ehren gekommen — Hauptvertreter der Theorie war damals Peter-Uwe Conrad, heute Staatssekretär in Schwerin. Urheber der Vorstellung von einer Barriere waren damals DDR-Behörden aus dem Schalck-Dunstkreis, die ein Interesse an den 100 Millionen Mark Devisen für die Giftmüllimporte hatten. Bemerkenswert ist die Geschichte von 1986 auch, weil das Ministerium es schon damals hätte besser wissen müssen: Ihm waren die Brunnen des Wasserwerkes seit Sommer 1979 bekannt. Kurz nach Eingang der Information teilte das Kieler Ministerium am 20. Juli 1979 der Stadt Lübeck mit, daß Schönberg „für die Ablagerung von Sonderabfällen keineswegs geeignet“ sei. „Es kommt nach dem augenblicklichen Kenntnisstand nicht einmal für Hausmüll in Betracht.“

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