: Zäh und schwarz
■ Die immergleichen Töne als Melodie verkaufen, dumpf und unattraktiv, aber trotzdem tanzbar sein: Tar aus Chicago spielen im Loft
Drei kleine Buchstaben: Tar. Doch selten war ein Bandname schlauer gewählt. Teer ist schwarz und zäh; ist er heiß, stinkt er; kalt ist er widerstandsfähig. Beharrlich ledern Tar ihren Rock, und ein anderes Wort als Rock mag mir nicht einfallen, so monolithisch wirken sie. Am nähesten steht die Band aus Chicago vielleicht noch den Grunge-Combos aus Seattle — was sie aber schon viel zu weit in die Nähe von Nirvana rückt. Die Bilder, die bemüht werden, um ihre Musik zu beschreiben, sind die altbekannten, aber trotzdem zutreffenden: das startende Flugzeug, die aufs Gehirn einschlagende Abrißbirne, die umherschwirrenden Felsbrocken. Vielleicht hat keine Band vorher diese Bilder so perfekt ausgefüllt. Aber Tar sind auch noch viel mehr.
Hervorgegangen sind sie aus der Chicagoer Punkband Blatant Dissent. Tars erste Mini-LP und die aktuelle LP Jackson wurden von Steve Albini, die vorherige LP Roundhouse von Ian Burgess produziert. Albinis Image als Hausproduzent des SubPop-Labels erklärt vielleicht die Nähe zu Seattle. Herausgekommen sind die Platten von Tar allerdings auf »Amphetamine Reptile Records«, dem amerikanischen Noise- Label überhaupt. Im Vergleich zu ihren Firmengenossen sind Tar allerdings hochmelodisch — aber das hört sich einfacher an, als es ist. John Mohrs Laute kann man im seltensten Fall »Singen« nennen, meistens preßt und stöhnt er, ringt mit den Worten, verkauft den immergleichen Ton als Melodie.
Und es funktioniert doch. Die Gitarren stehen dumpf und düster im Raum, brechen plötzlich ab, ein Schrei, wieder Gitarren, und noch mal — bis zum Anschlag. »Unsere Gitarren klingen unattraktiv, unsere vocals klingen unattraktiv. Wir haben keine hübschen Melodien. Da haben wir das Problem«, sagen sie selbst, als wären ihnen Melodien, als wären Melodien überhaupt wichtig. Als wären Tar nicht sowieso hochmelodisch. Und tanzbar. Wenn einer gerne mit Bleigewichten an den Füßen tanzt.
Man sieht: Tar vereinen Extreme, die nicht zusammenpassen wollen, vielleicht auch nicht zusammenpassen sollten. Tar sind stumpf, aber immer aufregend, sind dröge, aber dann wieder explosiv, sind atonal, aber auf eine sehr tonale Weise. Tar fügen zusammen, was nicht zusammengehört. Ihr Sound erscheint völlig chaotisch, aber die Strukturen sind organisiert: »Wir sind die am wenigsten rockende Band von allen. In unseren Songs ist kein Platz für ausschweifende Soli und Improvisationen.«
Tar stehen zwar nicht so weit außerhalb bekannter Strukturen, daß sich keine Querverbindungen und Referenzen finden lassen würden (s.o.), aber doch weit genug, um völlig unbekannt zu sein: »Wenn irgendwer in den Staaten unsere Platten kennen würde, dann hätten wir auch jede Menge Aufkleber und Zensur- Hoppla, denn wir sagen genauso oft »Fuck« wie die 2 Live Crew. Doch in Phoenix, Seattle, und im Rest der Welt spielen wir vor zehn Leuten. Wir könnten blutige Rinderhälften auf die Bühne tragen, es wäre niemand da, den es stört.« Thomas Winkler
Heute um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg
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