: Neulich...
■ ...unter Orchideen/Vorbildlich multikulti
Heißt Orchideen kennen auch Orchideen lieben? Wer kennt schon Orchideen! Eben. Warum auch. Sind so seltene Pflanzen. Wahrscheinlich ja schön.
Eben nicht. Eine Orchidee ist nämlich gar keine Orchidee gar keine Orchidee. Sondern ein einsamer Stengel mit einer Art gerupften Wappenlilie oben drauf und Kinnbart drunter. Weswegen sie auch Aufsitzer genannt wird, was in der Schmarotzer-Hierarchie ziemlich weit unten ist; aber ziemlich weit.
Oberflächlich haptisch fühlt sich diese komische Pflanze nach Leder oder Wachs an. Oder auch nach Harzer Roller, damit wir zum Duft kommen. Die Orchidee riecht nämlich nach nichts. Denn: Die Orchidee ist so auf's Aussehen fixiert, daß sie nicht riechen muß. Auha! Ich wünschte, der Satz wäre von mir, aber er stammt aus Züchtermund.
Womit ich nun nicht mehr ums Outen umhin komme: ja, ich liebe Blumen! Und darum war ich neulich auf der Orchideenschau in der Rathaushalle. Worunter sich Kenntnislose wie meinereins eine Art Karneval in Rio auf Blumenebene vorstellen. Aber was für eine Enttäuschung, von den Züchtern mal abgesehen: tausende gemeinsam einsamer Stengel in Reih' und Glied mit einer Art gerupften Wappenlilie oben drauf und Kinnbart drunter. Zum Schießen irgendwie! Man hätte glatt mit einem netten kleinen Schießbuden-Schießgewehr, piff, die Blüte vom Schaftstengel schießen und dafür eine echte Rose verlangen können.
Gott, wie kann man einer Pflanze gegenüber so hämisch sein, die kaum Wasser braucht! Als wär's eine mickrige Tropenzicke! Das ist mieser florealer Rassismus! Handelt es sich doch um ein extrem multikulturelles Gewächs, das in aller Welt, und zwar von Grön- bis Feuerland wächst und zu Hause nicht gleich tot umfällt, wenn man es aus Versehen mal circa drei Wochen vollkommen vergißt. Von der Orchidee könnten wir uns alle ein Stück abschneiden: schließlich gibt es kaum eine vergleichbar dolle Spezies, die einen eigenen Wirtschaftszweig hat: die vanillestangenproduzierende vanilla planifolia. Was aber bloß eine von 140.000 Untersorten ist, inbegriffene Hybride.
Man kann den Stolz eines Jürgen Lohse von der Landesgruppe Bremen-Weser-Ems der DOG (Deutsche Orchideen-Gesellschaft) schon verstehen. Denn wer Orchideen züchtet — „Orchideenliebhaber wäre“, so Lohse, „da der Fachbegriff“ — der macht noch ganz andere Sachen: der erwärmt sich nämlich auch für Vögel, Katzen und überhaupt für die gesamte Natur. Im richtigen Leben ist Lohse Friedhofsverwalter, nein, die Orchidee ist sein privates Hobby und hat auf öffentlichen Friedhöfen kein Vorkommen.
Dabei ist die Orchidee eine Pflanze, die einen durchaus aufbaut. Allein das „Erfolgserlebnis des Wiederblühens“, schwärmt der gestandene Züchter und lobt auch die integrative Exotik, die die Lohse'sche Raumteiler-Vitrine zur Orchideen-Insel machen wird, wenns demnächst nach der Gattin des Friedhofsverwalters geht.
Fast wöchentlich kommen Neuzüchtungen dazu, erst jüngst wurde eine Namenlose auf „Freie Hansestadt Bremen“ getauft, bloß weil die Arme rotweißgestreift war! Ja, da ist man multiplex. Und nicht nur deswegen. Denn kann man sich das vorstellen: 35.000 Originalsorten mit fast ebenso vielen verschiedenen Verhaltenssystemen? Die daheim zu simulieren sind, wenn wiederblühen soll, was schon verwelkt war. Was für ein hochgezüchtetes Einfühlungsvermögen im heimischen Wohnzimmer! Was für eine Kultur eventuell! Claudia Kohlhase
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen