piwik no script img

Ein Auge zuviel

Mit Bildern gegen Bildertheater: Dieter Hacker in Bochum  ■ Von Arnd Wesemann

Das Bildertheater ist out. Die opulenten Bühnenspektakel, die seit Anfang der Achtziger durchs Schauspiel zogen, die seit Wonder und Grüber, seit Wilson und Freyer aus dem Aufklärungstheater ein Schau-Bühnentheater machten, wo sind sie hin? Im Fundus verschwunden. Die Bilder, die Texte verschlangen, sind Vergangenheit. Die zeitweilige Herrschaft der Bühnenbildner ist gebrochen. Selbst Jan Fabre gibt sich nicht mehr dem Spektakel hin, verliebt sich in leisere Worte. Wilson ist zum guten Stadttheater- Regisseur konvertiert. Die Theaterdirektoren stellen wieder Textfassungen her, und Dramaturgen interpretieren sie mit einst gewohnter Gewissenhaftigkeit. Die spektakulären Bühnenbild-Maschinerien haben sich auf karge Rauminstallationen reduziert.

Vor dem Hintergrund einer expressionistisch-anklagenden Malerei trat in Berlin ein Maler aus dem Windschatten von Karl-Ernst Herrmann hervor: Dieter Hacker, ein Ex- Galerist und selbst umtriebiger Pinseler. Für Herbert König entwarf er 1988 in Berlin das Bühnenbild zu Müllers Philoktet, in Düsseldorf Gorkis Nachtasyl, in Bochum konzipierte er Bühne und Masken für Frank-Patrick Staeckels Timon aus Athen — dann stand sie da: die Skulptur, eine auf einer Säule liegende Timonmaske vor dem Schauspielhaus Bochum, nächtens sogar angestrahlt. Demonstrativ hatte sich der Bühnenbildner vor das Theater postiert und es durch den in Bochum üblichen Seiteneingang noch einmal betreten, der Talenteschmiede „Theater unten“ — einer kleinen ehemaligen Bar, in der schon Herbert Grönemeier seine Karriere am Klavier begann.

Dieter Hacker hat dort soeben Oedipus von Sophokles in Szene gesetzt. Mit Armin Rohde als Oedipus, Teiresias, Jokaste, Kreon, Chor, Bote und Diener in einem. Und als Hacker. Seine Gegenspieler: Bilder. Der Maler in seinem Atelier. Er hebt sich aus seinem Bett und beginnt sein Tagewerk mit der Rezitation des Oedipus. Er malt nicht, er konfrontiert Sophokles mit zehn Gemälden. Er überprüft sie und prüft Sophokles. Oedipus sucht Worte gegen den blinden Seher Teiresias, der ihn auf die Fährte seiner Rätsel um Herkunft und Schicksal schickt, Teiresias in Form einer Fechtmaske, später einer Schweißerbrille, auf einem Knüppel überlebensgroß in einen alten Farbkanister gepfropft. Ein Seher, der nichts sieht, und damit alles... Hacker macht ihn groß. In Hölderlins Übertragung heißt das Sehen Kunst. Und Teiresias sagt: „Blind aus Sehnendem“. Blendung, so endet Oedipus, ist die Konsequenz einer Kunst des Sehens.

Das Orakel, die Zeichendeutung, die früheste Form der Semiotik, ist bei Sophokles noch ein Rätselspiel, keine Zeichenlehre. Ebenso verrätselt bauen sich die Bilder auf, alle zwei mal zwei Meter groß, wie ein stummer Chor. Ein gewaltiger, hölzerner Vorhang schließt sich wie Lider vor dem Publikum, öffnet sich und gibt den Blick auf neue Ölgemälde frei. Die Bilder assoziieren nichts, das Programmbuch alles. Es besteht aus Hölderlins Übertragung und den winzigen Reprints der Hacker-Bilder, die mit Titeln versehen sind. Sie heißen Das sterbliche Gemisch, Zungenkrieg, Stillstand des Inneren. Man kann das Programmbuch wie einen Katalog benutzen, streckenweise den Text darin mit verfolgen und ihn wie eine Verlängerung der Bildtitel genießen.

Armin Rohde liest aus einem Skizzenbuch, greift darauf auch zurück, wenn ihm Text entfällt. Auftritt „Stillstand der Zukunft“ — Rohde schiebt den Scheinwerfer über die Bühne, leuchtet das Bild als Jokaste ein und übernimmt ihren Part. Er spielt den melancholischen Poeten, der, um Verstehen ringend, einen Text aufsagt, ihn vor den Bildern probiert. Nach und nach rücken die Bilder dichter zusammen, Rohdes Stimme beginnt in den einzelnen Rollen zu changieren. War anfangs alles Chor, hat jede Figur im finalen Verhör ihre eigene stimmliche Kontur.

Hölderlin schrieb: „Der König Oedipus hat ein Auge zuviel vielleicht“ — so mündet der Rätselabend, der mit diesem Satz aus Kindermund begann, in einen Atelierbesuch. Dem Abend wäre vorzuwerfen, er zwinge zur Begutachtung der Bilder Hackers, zu einer Aufmerksamkeit, die sie in keiner Galerie erhielten. Mit Sophokles aber verrätselt er die Bilder, stellt sie in Frage, da sie nicht bebildern, da sie sich dem semiotischen Bedeutungsspiel auf dem Theater (alles muß etwas bedeuten) wieder entziehen, die Zweifel des Oedipus am Glaubbaren, am Sichtbaren aber vorzüglich unterstreichen.

Das Ende des Bildertheaters hat Dieter Hacker begriffen. Er weigert sich, Bilder als Visionen einzusetzen, ihnen einen Stauneffekt zuzubilligen. Am Bildertheater wurde seine rauschhafte Schönheit kritisiert. Das Publikum erfreute sich an ihrer kalkulierten Wirkung. Hacker will diese Schönheit der Bildenden Kunst wieder zuführen.

Sophokles: Oedipus. Bühne und Regie: Dieter Hacker. Mit Armin Rohde. Weitere Vorstellungen: 8., 10., 12., 15. und 19.April.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen