Häßlich-schönes Denkmal

■ Wo das Stadtbild zu wünschen übrigläßt (13): Der Bellevue-Tower am Potsdamer Platz

Berlin. Auf der unendlichen Liste der »häßlichsten Bauten Berlins« rangiert der »Bellevue Tower« nahe des Landwehrkanals mit Sicherheit ganz oben. Der fünfzehngeschossige Betonklotz erfüllt alle Superlativen architektonischen Unvermögens. Aus Sicht der Stadtplanung ist das graue Hochhausgewitter auf der Wüste am Potsdamer Platz natürlich eine Katastrophe. Der Anblick ist schrecklich.

Seine kantige, getreppte Form foltert das Auge. Der Plattenbau aktiviert sämtliche Alpträume gewesenen Bauwirtschaftsfunktionalismus. Sein Innenleben mit Studentenbuden, Appartements und Konferenzräumen gleicht nicht gerade einem Geniestreich für Grundrisse. Und selbst der oval geformte Treppenturm, das Wahrzeichen des »Towers«, erinnert mehr an den Ausguck eines abgesoffenen U-Boots als an die vermeintlich schnittige Dynamik des Dampfermotivs.

Jawoll, man ist geneigt, den Abriß zu fordern — ganz im Sinne der Firma Daimler-Benz. Das Unternehmen, seit 1991 Eigentümer der 54 Millionen Mark teuren Immobilie, drängt vehement auf deren Verschwinden, weil auf dem Grundstück Neubauten entstehen sollen. Im Frühjahr 1993 soll, so war am Dienstag zu hören, das scheußliche Haus plattgemacht werden. Die monströse Häßlichkeit sei unbrauchbar. Aber Halt! Häßlich ist nicht gleich Abriß; die halbe Stadt müßte da verschwinden. Denn für Berlin verbirgt sich in dem Bau ein Muster seiner spröden städtischen Physiognomie, das sich in der Architektur zu Mauerzeiten nur mehr in städtebaulicher Unzulänglichkeit manifestierte. Der Tower ist gebaute Westberliner Moral: Als Protest- Turm sollte das einstige Hotel mit Dachterrasse, französischem Chefkoch und exklusivem Mauerüberblick ein Fanal des freien Westens in Richtung Ost-Berlin markieren. Dieser zweifelhafte Charme ist, etwas abgeplatzt, in dem Wohnheim für Studenten sowie für Asylbewerber, denen das unrentable Hotel Platz machte, noch zu spüren. Wer in den Bau hineingeht, seine »drei Stufen« hinaufsteigt, erlebt diese Verwandlung. Diese spezielle Geometrie und die perspektivische Sicht sind Teile der Berliner Nachkriegsarchitektur, die mehr erzählen, als es auf den ersten Blick scheint. Natürlich erscheint der Bau schaudervoll und primitiv, im Großen wie im Detail. Doch was bedeutet das, angesichts möglicher Niederträchtigkeiten, die dort entstehen könnten. Das bauliche Implantat von Daimler-Benz & Co. wird niemals funktionieren. Wer die falsch glitzernden neumodischen Passagen der großen Unternehmen in London, Hongkong oder New York kennt, weiß, was ich meine.

Der »Tower« dagegen ist Chiffre und Erlebnis unserer eigenen baupolitischen Sünden — und zugleich deren häßlich-schönes Denkmal. Nicht musealisieren sollte man ihn, noch um ihn trauern. Man kann ihn sanieren oder umbauen. Er hat noch praktischen und therapeutischen Wert. Bei gleißender Sonne und im Zwielicht abendlicher Dämmerung kann er gar schön werden. Die vergangene Lebensenergie der Großstadt muß gerade dort zäh bleiben, wo hybrides Größenwachstum sich erst vollziehen soll. Rolf R. Lautenschläger