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Abschied von Thatcher

■ Großbritannien wählt heute ein neues Parlament

London (taz) — Nach 13 Jahren in der vordersten Front britischer Politik tritt sie ab: Die ehemalige Premierministerin Margaret Thatcher gibt ihren Sitz bei den heutigen Unterhauswahlen kampflos auf. Ohnehin ist es in letzter Zeit ruhig um sie geworden. Die Befürchtungen ihres Nachfolgers John Major, daß sie ihm mit kritischen Äußerungen in den Rücken fallen könnte, haben sich nicht bestätigt. Nun hatte sie allerdings auch wenig Grund dazu. Sie selbst mag von der politischen Bühne abtreten, doch ihre Ideologie noch lange nicht. Je länger der für die Torys katastrophale Wahlkampf dauerte, desto tiefer griff Major in die Kiste des Thatcherismus: Nein zu Europa und der Sozialcharta sowie kategorische Ablehnung jeder Änderung des britischen Mehrheitswahlrechts. Seine Angst ist durchaus begründet. Bei Umfragen gaben 43 Prozent an, daß sie für die Liberalen Demokraten stimmen würden, hätte die Partei eine Chance. Major argumentiert, daß eine proportionale Repräsentation, die von den Liberalen zur Koalitionsbedingung erhoben wurde, Tür und Tor für die Nationale Front und die Kommunisten öffnen würde — Ideologien, die der „britischen Verfassung fremd“ seien. Freilich leiden auch die Grünen unter dem Wahlsystem, da eine Stimme für sie praktisch verschenkt wäre. Thatchers Abgang verlief weniger würdevoll, als sie es sich erhofft hatte. Zwar zog sie während des Wahlkampfs, zu dem sie noch ein letztes Mal ihr Scherflein beitragen wollte, lediglich von einer Tory- Hochburg zur anderen, doch selbst das ging schief: In Marple in der Grafschaft Cheshire war eine Frau mit einem Strauß Osterglocken scheinheilig bis zur „Eisernen Lady“ vorgedrungen und schlug ihr die Blumen plötzlich um die Ohren. Major erging es schlimmer. In Southampton warf ihm am Montag ein Demonstrant ein Ei aus Nahdistanz ins Gesicht. Major erlitt eine Platzwunde und mußte den Anzug wechseln. Es war bereits der zweite graue Anzug, der innerhalb einer Woche ruiniert wurde: In Bath traf ihn vor acht Tagen ebenfalls ein Ei. Während Thatcher und ihr Nachfolger mit Blumen und Lebensmitteln attackiert wurden, lief Alt-Premierminister Edward Heath nochmal zur Höchstform auf und schickte eine verbale Attacke hinterher: „Thatcherismus und Konservatismus sind inkompatibel“, sagte der 75jährige, der in einem der sichersten Tory-Wahlkreise kandidiert. Hat Thatchers elfjährige Amtszeit seiner Meinung nach gar kein positives Ergebnis erbracht? „Doch, daß sie endlich weg ist“, sagte er ungerührt. Ralf Sotscheck

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