: „Ersatzweise Haft“
■ Dynamo-Ärzte klagen gegen die Zeitung 'die andere‘
Berlin (taz) — Teurer Rechtsstaat: 200.000 Mark und möglicherweise noch mehr soll die Bürgerrechtszeitung 'die andere‘ an vollstreckbaren Kosten aufbringen, weil sie im Frühjahr 1991 unter dem Titel „Die Hauptamtlichen“ die Gehälter der oberen Zehntausend im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) veröffentlichte. Vierzehn dabei genannte Ärzte des „SV Dynamo“— bei der früheren DDR- Bevölkerung als Mielkes Lieblingsverein bestens bekannt — klagten im Anschluß in mehr als vierundzwanzig Zivilverfahren gegen ihre Nennung auf jener Liste, die 1989 von der Stasi selbst verfertigt worden war.
Die Mediziner bestritten nicht, auf der Gehaltsliste des MfS gestanden zu haben — eine Verleumdung sollte es aber sein, in die Nähe hauptamtlicher Mitarbeiter gerückt zu werden. Ihre Arbeitsverträge, argumentierten die Sportärzte, hätten sie mit dem Innenministerium geschlossen. Daß sie, wie aus der Stasi-Liste zu ersehen ist, tatsächlich aus den Etats der Staatssicherheit finanziert wurden, sei ihnen nicht bekannt gewesen. Was 'die andere‘ als „legitimen Schritt zu echter Öffentlichkeit“ bezeichnete, wertete das Berliner Landgericht in erster Instanz in den jetzt zugestellten Urteilsbegründungen allerdings als „üble Nachrede“— weil eben jene Stasi-Tätigkeit „im engeren Sinne“ nicht erwiesen sei.
Per Gerichtsbeschluß werde von der Zeitung jetzt verlangt, so der Herausgeber der 'anderen‘, Klaus Wolfram, die Mitarbeit „im engeren Sinne“ nachzuweisen oder aber die Veröffentlichung zu korrigieren und die Stasi-Liste damit „zu verfälschen“. Weder das eine noch das andere will Wolfram akzeptieren, beides sei „sachlich unangemessen“. Die einzig richtige Fragestellung müßte für Wolfram lauten: „Überwog das Interesse der ostdeutschen Bevölkerung im Frühjahr 1991 die schutzwürdigen Persönlichkeitsrechte der Kläger?“ Eine Frage, die aber erst das Verfassungsgericht stellen und beantworten könne.
Bis dahin sind auf Antrag der Kläger mehrere hunderttausend Mark an Ordnungsgeldern, Anwalts- und Gerichtskosten vollstreckbar. Eine Summe, die von der 'anderen‘ nicht aufgebracht werden kann. Mehr als 50.000 Mark hat die Zeitung nach eigenen Aussagen schon gezahlt. Klaus Wolfram: „Das reicht als Lehrgeld für den Rechsstaat.“ In der Ausgabe vom 8. April erklärte er „ausdrücklich“, daß er nun „die letzte freie Wahl, die uns der Rechtsstaat läßt“, annehmen werde: Die vom Gericht verfügte „... ersatzweise Haft“. Tagessatz 200 DM. Wolfgang Gast
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen