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13 Jahre sind den Briten noch nicht genug

Trotz Wirtschaftskrise und allgemeiner Unzufriedenheit errangen die Torys zum vierten Mal in Folge einen sicheren Wahlsieg/ Labour Party, Liberale Demokraten und Schottische Nationalisten blieben weit hinter den Erwartungen zurück  ■ Von Ralf Sotscheck

Großbritannien bleibt konservativ. Entgegen allen Meinungsumfragen konnten die Torys auch nach 13 Jahren an der Regierung ihre absolute Mehrheit behaupten, wenn auch in stark reduzierter Form. Nach einer langen Nacht der Stimmenauszählungen — die letzten Ergebnisse trafen erst gestern mittag ein — stand fest, daß die Regierungspartei im neuen Parlament über 332 der 651 Sitze verfügt. Bisher hatten die Torys 369 Sitze im Unterhaus. Die Labour Party kam dagegen nur auf 271 Mandate (bisher 231), und die Liberalen Demokraten erlebten mit nur 20 Unterhaussitzen (bisher 22) eine bittere Enttäuschung ihrer hochgesteckten Erwartungen.

Damit stellen die Torys zum viertenmal hintereinander die Regierung. Das ist seit 200 Jahren keiner Partei gelungen. In Prozentzahlen ausgedrückt zeigt das Ergebnis, daß die Torys mit einem Anteil von 42,5 Prozent nur minimale Verluste hinnehmen mußten. Labour konnte zwar um vier Punkte zulegen und kam auf 35,1 Prozent, doch schnitt die Partei nur bei zwei Parlamentswahlen seit dem Zweiten Weltkrieg schlechter ab. Die Liberalen, die auf ein Patt zwischen den beiden großen Parteien gehofft hatten, um nach dem Vorbild der deutschen FDP das Zünglein an der Waage spielen zu können, konnten nur 18 Prozent der WählerInnen für sich gewinnen — fünf Prozent weniger als 1987.

Nachdem die Wahllokale am Donnerstag um 22 Uhr geschlossen hatten, deuteten sämtliche Umfragen noch darauf hin, daß keine Partei eine absolute Mehrheit erhalten würde. Doch schon die ersten Ergebnisse zeigten, daß der Umschwung zu Labour weit geringer als erwartet ausfallen würde. Die BBC und der unabhängige Fernsehsender ITV übertrugen die Stimmenauszählungen in den einzelnen Wahlkreisen bis in die Morgenstunden live und lieferten sich mit allerlei elektronischen Spielereien einen Kampf um die Gunst der ZuschauerInnen. So hatte die BBC ein „Swingometer“ eingeführt: ein elektronisches Pendel, das das Ausmaß des Umschwungs zu Labour anzeigte und die blauen Tory- Wahlkreise rot einfärbte. Doch bereits um zwei Uhr hatte sich die Nadel bei rund drei Prozent eingependelt — der Wahlsieg der Torys stand fest. Danach herrschte nur noch Langeweile. Labour-Chef Neil Kinnock gestand seine Niederlage jedoch erst vier Stunden später ein.

Regierungschef John Major bezeichnete das Wahlergebnis als „großartigen Sieg“ und betonte, daß er nie daran gezweifelt habe. „Wir haben jetzt fünf Jahre Zeit, um unser Wahlprogramm in die Tat umzusetzen“, sagte der Premierminister, der in seinem Wahlkreis Huntingdon mit 36.000 Stimmen Vorsprung das beste Ergebnis des Tages erzielte. Allerdings fiel ein Wermutstropfen in den Tory-Freudenbecher: Der Parteivorsitzende und Architekt des erfolgreichen Wahlkampfs, Chris Patten, verlor in Bath seinen Unterhaussitz an die Liberalen Demokraten und muß vorerst auf den erhofften Kabinettsposten verzichten. Vermutlich wird ihm seine Partei jedoch nachträglich ein Mandat zuschanzen, wenn es aufgrund des Rücktritts oder des Todes eines Abgeordneten zu einer Nachwahl kommen sollte. Neben Patten verloren auch vier Staatssekretäre sowie der ehemalige Sportminister Colin Moynihan ihre Mandate. Dagegen gelang dem Leichtathleten Sebastan Coe, der für die Torys kandidierte, auf Anhieb der Einzug ins Parlament.

Die Labour Party übte sich in der Schadensbegrenzung. Ihr Abgeordneter Chris Smith aus dem Londoner Wahlkreis Islington sagte: „Das Ergebnis ist nicht schlecht, allerdings auch nicht gut genug. Wir mußten im Vergleich zur letzten Wahl enormen Boden gutmachen. Das ist uns nur zur Hälfte gelungen. Wir haben jetzt jedenfalls eine sehr gute Ausgangsposition für die nächsten Wahlen.“ Die Partei muß sich jedoch fragen lassen, wieviel besser die Ausgangsposition sein muß, um einen Regierungswechsel herbeizuführen. Schließlich steckt Großbritannien nach 13 Jahren Tory-Herrschaft in einer tiefen Rezession, es herrscht Rekordarbeitslosigkeit, und die Zahl der konfiszierten Häuser aufgrund von Zahlungsrückständen steigt täglich. Kinnocks Tage sind gezählt. Seine Unbeliebtheit selbst bei Labour-WählerInnen trug erheblich zu dem schlechten Abschneiden der Partei bei.

Der dem linken Labour-Flügel angehörende Ken Livingstone wollte sich gestern zwar nicht auf eine Personaldiskussion einlassen, sagte jedoch: „Die gesamte Bewegung ist schuld an der Niederlage. Wir hätten einen deutlichen Sieg mit bis zu hundert Sitzen Vorsprung landen müssen, doch die Partei ist viel zu stark nach rechts gerückt. Wir haben zwar mehr Geld im Sozialbereich versprochen, ohne jedoch Kürzungen im Verteidigungshaushalt vornehmen zu wollen. Diese Rechnung ging in den Augen der Wähler nicht auf.“ Kinnock, der zu einer Fußnote der britischen Geschichte zu werden droht, antwortete auf die Frage nach seiner Zukunft lediglich: „Sie wird lang und wunderbar sein.“

Die Liberalen Demokraten mußten ihre Hoffnungen begraben, zur dritten Kraft in Großbritannien zu werden. Die Partei wollte bei einer Patt-Situation eine Wahlreform durchsetzen. Das britische Mehrheitswahlrecht, bei dem der Verlierer — und fehlt ihm auch nur eine Stimme — leer ausgeht, benachteiligt kleine Parteien und unabhängige Kandidaten. So spielten weder die Grünen noch die Rechtsradikalen bei den Wahlen eine Rolle. Auch mehrere Dutzend Splitterparteien, darunter Maharishi Mahesh Yogis „Natural Law Party“, hatten nicht die Spur einer Chance. Die Reste der Sozialdemokratischen Partei, die den Zusammenschluß mit den Liberalen abgelehnt hatten, verloren ihre letzten beiden Abgeordneten.

Jetzt beschäftigt die Frage, woran es liegt, daß die Torys trotz Wirtschaftskrise und allgemeiner Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik zum vierten Mal hintereinander die Wahlen gewonnen haben, die BritInnen. Zum „Kinnock-Faktor“ kam hinzu, daß die WählerInnen im Wirtschaftsbereich der Labour Party trotz ihrer Sozialdemokratisierung offenbar nicht trauen. Darüber hinaus hatten die Torys Steuersenkungen versprochen. Ein älterer Wähler drückte es so aus: „Der Teufel, den ich kenne, ist mir lieber als der Teufel, den ich nicht kenne.“ Der stellvertretende Vorsitzende der Labour-Partei, Roy Hattersley, war ratlos: „Ich weiß nicht, warum das passiert ist“, sagte er.

Der Wahlkampfleiter der Liberalen Demokraten, Des Wilson, machte gestern den aggressiven Wahlkampf der Torys für das Ergebnis verantwortlich. „Die Kampagne der Konservativen hat vielen Menschen angst gemacht: Sie befürchteten, daß eine Stimme für die Liberalen die Labour Party an die Macht bringen würde“, sagte er. „Die Labour-Politiker müssen sich endlich eingestehen, daß sie keine Wahlen gewinnen können. Nur wenn die Partei einsieht, daß Großbritannien die proportionale Repräsentation braucht, kann sie es vielleicht schaffen. Wir müssen einfach Geduld haben.“ Die Wahlreform ist nun jedoch in weite Ferne gerückt.

Das Wahlergebnis hat die Teilung der britischen Insel noch verschärft. Labour hatte 97 Tory-Wahlkreise angepeilt, die für einen Regierungswechsel notwendig gewesen wären. Dieses Vorhaben gelang jedoch nur zur Hälfte, und zwar vor allem in Nordengland und in den Midlands. In den Tory-Hochburgen im Südosten schaffte die Partei den Durchbruch nicht, und auch in London, wo die Wahl entschieden wurde, konnte Labour nur ein Viertel der angestrebten 80 Sitze hinzugewinnen.

John Major wird am Wochenende sein neues Kabinett bilden. Es wird erwartet, daß er ein oder zwei Posten an Frauen vergeben wird — bisher war das Kabinett eine reine Männerriege. An der britischen Politik wird sich jedoch nichts ändern. Major, der aufgrund einer Parteirevolte gegen die ehemalige Premierministerin Margaret Thatcher vor 17 Monaten an die Macht gekommen war, hat nun zwar den Schatten seiner Vorgängerin abschütteln können, doch die Eckpfeiler ihrer Politik bleiben bestehen: Ablehnung der europäischen Sozialcharta, der Währungsunion und der unabhängigen Europabank, Privatisierung des Gesundheitswesens, Bezahlung der LehrerInnen nach „Leistung“ und Ausbau des Rüstungsprogramms. So steht dem Bau des vierten Trident-Atom-U-Boots nun nichts mehr im Weg. Thatcher kommentierte die Wahl mit den Worten: „Ich bin hocherfreut. Alles, was wir in den letzten 13 Jahren geleistet haben, wird erhalten bleiben.“ Aus Großbritannien also nichts Neues.

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