: Die Kollaborateure der Kunst
■ Spoerri, Thomkins, Hamilton, Ay-O und andere Wale haben eine Woche lang mit- und durcheinander in Bremen gearbeitet
hierhin bitte das
Foto von der
Auslage mit Bildern
Von einem älteren Wal, der bereits in der Kunstgeschichte untergetaucht ist: Der Kasten „La boite en valise“ von Marcel Duchamp, ebenfalls zu besichtigen in der Städtischen Galerie
Das wäre Wolfgang Hainkes Traum: daß jede „innere“ Verbindung, jede Analogie in dieser Ausstellung mit einem Laserstrahl sichtbar gemacht würde. Der große Ausstellungsraum in der neuen Städtischen Galerie im Buntentor wäre ein lichtes Gespinst von Beziehungen zwischen zahllosen Kunstwerken und anderen Objekten, die das Projekt Whale ausmachen. Denken ist billiger als Laser; so überläßt der Künstler und Ausstellungsmacher Hainke die Besucher sich selbst: in der dünnen Luft der Konzepte.
Eine Woche lang waren neun KünstlerInnen aus Japan, Frankreich, England und dem Inland in der ehemaligen Remmer-Brauerei zusammen: große alte wie Daniel Spoerri, Richard Hamilton und Emmet Williams, weniger bekannte wie Boris Nieslony, Ann Noel oder Jürgen O. Olbrich. Sie stießen bei ihrer Ankunft auf ein riesiges Walbild (10 mal 3 Meter, ein Zwergwal in Öl und Originalgröße, gemalt 1669
von Frantz Wulffhagen, hing 300 Jahre im Bremer Rathaus ) und auf eine der großen Schachteln von Marcel Duchamp. Ein Treffen der „Freundschaft und Kollaboration“, wie Hainke sagt. Alle haben schon einmal mit-, gegen- oder durcheinander gearbeitet.
Aus einem Brunnen plätschert Bier, der Rainbow Man hat eine Fingerfalle gebaut, und ununterbrochen bläst Moby Dick
Abzulesen ist das z.B. an einer Arbeit von Ann Noel, die eine Art Duschvorhang mit Walen unterschiedlicher Größe beklebt hat. Jeder hat einen Namen und ein Datum: Der größte, der Blauwal, ist Marcel Duchamp; Noel hat ihn 1968 getroffen.
Ein Ausstellungsprojekt von Konzept- und Fluxuskünstlern kann tatsächlich sinnlich sein. Die Nase wird eingangs zuerst angesprochen: Aus Pavel Schmidts Plätscherbrunnen mit Wal sprudelt ununterbrochen schales Bier, und das Entree des ehemaligen Gärkellers der Brauerei findet zu seinem alten Geruch. In der eigentlichen Galerie stößt man zunächst auf zwei Fässer des „Rainbow Man“ Ay-O (er läßt mit Vorliebe gigantische bunte Stoffbahnen im Wind flattern) mit der Aufforderung, die Finger reinzustecken. Dabei hat man zwei Erlebnisse. Fast eine haptische Falle ist Ay-O's Koffer mit „finger boxes“: Es besteht Verletzungsgefahr! Wenn die Ohren nicht gerade voll sind vom Gesang der Wale (Dokumentations-Video läuft pausenlos), kann man sich in einer Installation von Wolfgang Hainke Melvilles „Moby Dick“ anhören, 12 1/2 Stunden vom Band.
Das Spannende — und sicher Irritierende — ist der Kunstbegriff, den diese Ausstellung ausfüllt. Was hier bis Ende April zu sehen ist, ist das gefrorene Bild eines Films, der vorher lief und weiterlaufen wird: Anreise, Diskussionen, Produktion, Streiten ums Thema, Feiern, Abreise, eine „Edition“. Die Ausstellung gibt eine Idee davon, wie weit sich die Kunst in den letzten 30 Jahren vom traditionellen Tafelbild wegentwickelt hat (Ausnahme: Natalie Thomkins). Das ist überhaupt nicht neu, aber für Bremen eher ungewöhnlich. Recycling- Kunst, Ready made, objet trouvee, konkrete Poesie, typography of chance, Auflagenobjekte: Es hat auch mit Nachhilfe in zeitgenössischer Kunst zu tun, was hier passiert.
Wem die obsessive Konstruktion von Zusammenhang zu viel wird, der kann sich auch als Museumsbesucher bewegen: Duchamps boite en valise von 1968 bewundern, Serie G, sie enthält an die 80 einzelne Arbeiten; ein Meta Matic, Produkt einer Zeichenmaschine von Tinguely; Druckgrafik von Hamilton, Nam June Paik, Allan Karpow. Wer schlau ist, bedient einen Microfiche-Printer und läßt sich Spoerris längst vergriffenes Buch „An Anecdoted Typography of Chance“ ausdrucken (wird für 1.000 Mark gehandelt) und von Spoerri autorisieren.
Und „Whale“ bewegt was im Lande. Das aufgestellte Walbild
hierhin die drei
Köpfe, bitte
Sie werden einfach nicht alt: U.a. Richard Hamilton, Emmet Williams, Daniel Spoerri (v.l.) haben sich von wegen Wal in Bremen umgetrieben
zieht Sponsoren an, die für die Restaurierungskosten von geschätzt 130.000 Mark aufkommen wollen; nicht zufällig wird derzeit das Skelett just des Wales, den Wulffhagen damals an der Lesum porträtierte, restauriert und Ende Mai im Überseemuseum zu sehen sein; und Kunsthallenchef Salzmann wird kurz vor der Pensionierung doch noch den Daniel Spoerri groß in seinem
Haus bringen.
Und jetzt noch ein Geheimtip für „Crazy People, Lichtscheue und Insider“ (Hainke): Karfreitag früh um 1 Uhr (!) weiht Wolfgang Hainke im Angesicht von Duchamps „Großer Schachtel“ in die Geheimnisse derselben ein. Das wird ein ganz besonders pikantes, womöglich okkultes Abenteuer. Alles Kunst! Burkhard Straßmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen