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Abstimmung über modernste Verfassung der BRD

■ In Brandenburg wird heute über die erste Verfassung eines ostdeutschen Bundeslandes entschieden

Berlin (taz) — Wenn alles gut geht, wird der Brandenburgische Landtag heute mit Zwei-Drittel-Mehrheit eine Landesverfassung verabschieden, die als modernste der Bundesrepublik gilt. Diesen Nimbus verdankt der Entwurf seiner konsequenten ökologischen Orientierung, den weitgehenden Partizipationsrechten, die er für die BürgerInnen des Landes vorsieht und der starken Stellung der Abgeordneten gegenüber der Regierung. Letzte Unsicherheiten, ob die erforderliche Mehrheit zustandekommt, bestehen weiter, weil es der CDU auch im Vorfeld der dritten Lesung des Verfassungsentwurfes nicht gelungen ist, ihre vom Brandenburgischen Landesvorsitzenden Ulf Fink präsentierten „Eckwerte“ vollständig durchzusetzen. Dennoch hat der vom Verfassungsausschuß am 31. Mai 1991 vorgelegte Entwurf im Zuge der schwieriger Konsensverhandlungen im Ausschuß Federn lassen müssen.

Insbesondere die plebiszitären Elemente des Entwurfs sind der oppositionellen CDU, aber auch der in der Potsdamer Ampelkoalition mitregierenden FDP ein Dorn im Auge, weil damit der repräsentative Charakter der parlamentarischen Demokratie und ihr Gesetzgebungsmonopol zumindest eingeschränkt wird. Mit dieser Argumentation lehnen Union und FDP auch in der Diskussion um die Veränderung des Grundgesetzes jegliche plebiszitären Ergänzungen strikt ab. Die Befürworter direkter Partizipationsrechte, die sich auch im Brandenburgischen Entwurf durchsetzen konnten, weisen darauf hin, daß auch das Grundgesetz in Artikel 20 zur Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk nicht nur Wahlen, sondern ausdrücklich auch Abstimmungen vorsieht. Die Befürworter direkter Formen der Demokratie machen zudem geltend, daß es ihnen mit ihrem Anliegen in erster Linie um eine ergänzende Kontrolle der repräsentativen Demokratie geht, eine Forderung, die durch den aktuellen Glaubwürdigkeitsverlust der großen Volksparteien an Plausibilität gewinnt.

Während die CDU in Brandenburg als Kompromiß vorgeschlagen hatte, Plebiszite nur im Zusammenhang mit Verfassungsänderungen und der Auflösung des Landtages zuzulassen, finden sich im Entwurf Volksinitiative (Art. 76), Volksbegehren (Art.77) und Volksentscheid (Art.78) auch für die allgemeine Gesetzgebung. Das Bündnis 90 spricht sichtlich zufrieden von einem „Volksgesetzgebungsverfahren“. Demnach sollen „alle Einwohner“ Brandenburgs künftig das Recht haben, dem Landtag Gesetzentwürfe zu unterbreiten. Dazu bedarf es der Unterstützung von 20 000 stimmberechtigten Bürgern. Stimmt der Landtag einem solchen Antrag oder Gesetzentwurf nicht zu, findet auf Verlangen der Initiative ein Volksbegehren statt, das 80 000 Stimmen benötigt. Widerspricht der Landtag auch dem Volksbegehren, kommt es zum Volksentscheid. Gesetze sind angenommen, wenn der Volksentscheid, an dem sich mindestens ein Viertel der Stimmberechtigten beteiligen müssen, eine Mehrheit findet. Auf diesem Wege können in Zukunft auch Verfassungsänderungen durchgesetzt und die Auflösung des Landtages betrieben werden. An Volksentscheiden mit diesre Zielsetzung müssen sich allerdings mindestens die Hälfte aller stimmberechtigten Bürger beteiligen. Notwendig ist eine Zwei-Drittel- Mehrheit.

Partiziperen können die Bürger Innen auch bei der in Kraftsetzung der Verfassung selbst. Für diese ist nicht nur die zwei-Dritte-Mehrheit im Brandenburgischen Landtag sondern auch eine Mehrheit beim Volksentscheid am 14 Juni dieses Jahres notwendig. Mitwirken konnten die Brandenburger auch schon am Entwurf, in dessen überarbeitete Fassung zahlreiche Zuschriften interessierter Bürger eingearbeitet wurden.

Als Verfassungsrechtliches Novum in der Bundesrepublik gilt auch die Aufnahme eines Akteneinsichtsrechtes. Nach Artikel 11 des Entwurfes hat jeder Bürger das Recht, über die Verwendung seiner persönlichen Daten selbst zu bestimmen sowie Akten und sonstige amtliche Unterlagen einzusehen, soweit sie ihn betreffen. Einschränkungen sollen nur „im überwiegenden Allgemeininteresse durch Gesetz“ zulässig sein.

Wie bei der anstehenden Überarbeitung des Grundgesetzes ist auch in Brandenburg die Aufnahme sozialer Staatsziele umstritten. Angesichts der im Entwurf enthaltenen Staatsziele Wohnen (Art.48), Arbeit (Art.49), soziale Sicherung (Art.46) und Umwelt (Art.40) spricht Ulf Fink von „Staatszielinflation“. Für die einen sind Staatsziele unverbindlich und nur die Feigenblattvariante echter, weil einklagbarer Grundrechte. Konservative Kritiker warnen vor einer Überfrachtung der Verfassung mit Zielsetzungen und Versprechen, die die Möglichkeiten des Staates überfordert. Befürworter der Staatsziele sehen in ihnen erst einmal Orientierungslinien für die Politik, die im Zuge der Verfassungsrechtssprechung verbindlich ausgestaltet werden können. Auf Einspruch der FDP wurden Verfassungsartikel zur Arbeitnehmermitbestimmung und zum Verbot von Angriffsausperrungen gestrichen. Neu aufgenommen wurde der von der PDS geforderte Rechtsanspruch auf einen Kindertagesstättenplatz.

Schon in der Präambel ist der Schutz von Umwelt und Natur aufgenommen, in Artikel 40 wird er als Staatsziel fomuliert. Demnach hat der Staat nicht nur auf „den spaarsamen Gebrauch und die Wiederverwendung von Rohstoffen... Hinzuwirken, er hat auch dafür Sorge zu tragen, daß “ Umweltschäden beseitigt oder ausgeglichen werden . Öffentliche und private Vorhaben bedürfen des Nachweises ihrer Umweltverträglichkeit. Die Entsorgung von Abfällen, die nicht in Brandenburg entastanden sind, soll künftig “nur in Ausnahmefällen zulässig sein. Auch die Haftung für Umweltschäden hat Verfassungsrang. Eigentumsrechte können eingeschränkt werden, wenn durch sie die Umwelt schwer geschädigt wird. Die im ursprünglichen Entwurf vorgesehene Einziehung von Eigentum wurde auf Drängen der FDP gestrichen. Auch die einschränkenden Bestimmungen für den Bau von Kernkraftwerken stehen heute nicht mehr zur Abstimmung.

Mit der Begründung, die Landesverfassung dürfe nichts versprechen, was das Land nicht halten könne, wurde auch die urspünglich vorgesehene Straffreiheit für Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten verworfen. Die Fraktionen einigten sich immerhin darauf, mit einer gleichlautenden Entschließung, Einfluß auf die anstehende Bundestagsentscheidung zu nehemen. Ein im ersten Entwurf vorgesehenes Widerstandsrecht gegenüber dem Staat war im Verfassungsausschuß ebensowenig konsensfähig wie der vom Bündnis favorisierte Verzicht auf einen Geheimdienst in Brandenburg. Auch mit einem Verbot nachrichtendienstlicher Mittel konnten sich die Bürgerrechtler nicht durchsetzen.

Auch für die Zukunft hat der Verfassungsausschuß, der sich nach den letzten Kompromißverhandlungen am letzten Donnerstag einstimmig für eine Annahme des Entwurfs durch den Landtag ausgesprochen hat, vorgesorgt: Die Verfassung verliert ihre Gültigkeit, falls eine verfassungsgebende Versammlung, deren Wahl von den Bürgerinnen per Volksentscheid erreicht werden kann, eine neue Verfassung für das Land Brandenburg beschließt. Matthias Geis

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