: Der »Mitbürger« war einfach zu deutsch
■ Einige Beobachtungen zum Thema Ausländerfeindlichkeit und Ausländerfreundlichkeit links und jenseits der SPD
Berlin. Plötzlich sprach irgend jemand, inspiriert von Barbara John, vom Mitbürger. Daraus wurde ein Spitzname, ein wenig ironisch, kaum liebevoll. Der Mitbürger ging nämlich allen in jenem Seitenflügel unweit des Kreuzberger Oranienplatzes ziemlich auf die Nerven. Er überwachte alles, nölte viel herum, wollte die Fahrräder partout nur hier und nicht dort lehnen haben und befand sich zudem in einem Dauerkrieg mit den alternativ erzogenen Gören. Ein typischer Berliner Hauswart von der üblen Sorte halt. Deshalb sagte man gerne auch mal, der Scheißmitbürger, das Arschloch von Mitbürger und so. DerMitbürger war einfach zu deutsch! Ein bißchen ein komisches Gefühl war's schon und völlig ernst und in aller politischen Öffentlichkeit des Kiezes hätte man sich schon zurückgehalten, denn der Mitbürger war Türke, auch noch streng gläubig (igitt!) und Vater von sieben nicht antiautoritär erzogenen Gören. Klar, daß man unmöglich vom scheißtürkischen Hauswart oder so reden konnte, als Linke, Antirassisten, Antiimps etc. (Gut waren da noch die Frauen, jener aus der 81er Besetzerbewegung hervorgegangenen Hausgemeinschaft, dran, schließlich ließ der Mitbürger seine Töchter kaum auf die Straße, und wenn, dann nur mit Kopftuch, woraus man sehen konnte, um was für ein patriarchalisches Arschloch es sich da handelte. Und was nun die fünf ewig zukurzgehaltenen männlichen Sprößlinge anbelangte, eiy Mann, klar, da kannste dein Fahrrad nicht einfach im Hof lassen, schrauben die alles ab, und der Älteste verpestet mit 'nem Schrott-BMW den Kiez, und Silvester schmeißen se alle Kracher in den Biokompost. Aber wie gesagt: Laut sprach man das nie aus.
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Anders bei Freunden im Chamissokiez, da ist die Hauswartsfrau gebürtige Treptowerin, mit dem KOB auf Du und Du, putzwütig, streng 'BZ'- hörig und vor allem gegen spielende Gören und besonders gegen spielende Aishes, Ergins, Fathmas und Yusufs, wg. Dreck, Lärm und überhaupt. Na, keift eure Fascho-Hauswartsfrau wieder rum, geht da den Besuchern locker über die Lippen.
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Nein, sie habe in 20 Jahren nie eine wirklich große Freundschaft zwischen einem deutschen und einem türkischen Kind erlebt, sagte jüngst eine Berliner Hauptschulleiterin in einem Zeitungsinterview. Selbst wenn sie unrecht hat: In West-Berlin leben rund 120.000 Menschen aus der Türkei, insgesamt gar 200.000 Menschen mit nicht-deutschen Pässen. Wie viele davon kennen wir persönlich, wer ist mit einem richtig befreundet? Irgendwie schon komisch, nach immerhin 30 Jahren. »Gastarbeiter«-Migration...
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Klar doch, in Sachen Ausländerfeindlichkeit haben wir uns nichts vorzuwerfen. Wir koofen bei Türken. Und essen Felaffel. Und streichen als Zeitungsredakteure immer brav die Attribute »türkisch« oder »jugoslawisch« aus der Täterbeschreibung in den Polizeimeldungen — beziehungsweise schreiben als Leser sofort bitterböse Leserbriefe, wenn die faschistoiden Zeitungsschreiber das Nationalitätenrausstreichen vergessen haben. Und überhaupt: Gehen wir nicht brav auf all diese Anti-(rassistischen, sexistischen, faschistischen, etc.)-Demos? Daß die Türken da irgendwie kaum mit bei sind, na ja...
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Tja, und die Sache mit der Ekita, der Elterninitiativkita, der Waldorfschule und so, da geht's wirklich um mehr, nämlich darum, daß die Laura-Cathrin und der Fabian, die Cosima und der Jens-Pascal in einem herrschaftsfreien, musischen Raum aufwachsen, krativ werden und nicht einfach so kleine Monster wie in Staatskitas und -schulen, wo auch viel zuviel Aggressionen, patriarchalische Erziehungsmuster und Verhaltensstörungen vorkommen. Ja, ist schon schade, daß sie da als kleine Deutsche halt doch fast so ganz unter sich sind. Na ja, diskutiert haben wir das im Elternplenum schon, was wäre, wenn wir bewußten Eltern den Aufwand an Geld, Kuchenbacken, Zeit und Nerven ins staatliche Erziehungssystem und die Jugendheime gesteckt hätten, wie's dort dann aussähe...
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Warum vor allem ausländische Kids die Schwulen überfallen? Also das Thema ist doch irgendwie zu heikel, da schürst du gleich wieder Ausländerfeindlichkeit mit, gerade jetzt in dieser Zeit. Ja sicher, die dritte Generation hat große Probleme, aber das können wir doch nicht in aller Öffentlichkeit diskutieren...
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Was heißt denn hier, was versäumt! Ging doch gar nicht anders im ausländerpolitischen Kiezarbeitskreis: Wir mußten uns doch auf Aktionen gegen das Ausländergesetz der BRD, die Flüchtlingsarbeit, auf den Kampf gegen Bullen, Faschos und Abschiebungen, gegen deutschen Rassismus und Neofaschismus vorbereiten. Wenn du jeden Monat einmal in Tegel am Flugschalter mit den Bullen im Clinch liegst, weil sie Immigranten abschieben, denn kannst du doch nicht auch noch so Nachbarschaftssozialarbeit mit ganz normalen Ausländern machen. Wo doch nicht einmal die AL-Ausländerpolitik ein wirkliches Programm für das alltägliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern im gewöhnlichen Wohnumfeld hat. Ausländerpolitik, pardon Migrantenpolitik ist halt erst mal Antipolitik, Projektepolitik. Also wenn uns dieser Scheißsenat erst mal die zwei multikulturellen Psychologenstellen genehmigte...
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Was anderes ist ja nun der Ausländer als Mann. Also das muß man schon einmal diskutieren dürfen. Also neulich in der U-Bahn...
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Meine WG-Nachbarin sagt doch kürzlich, ihr Kumpel sage auch, irgendwie erinnern ihn diese Normaltürken hier in letzter Zeit ganz schön an die Schultheißprols. So konsumgeil, kleinbürgerlich, autoritär und so. Richtig deutsch, meint er. Na ja, aber andererseits: Irgendwie ist der Typ auch schon immer so 'n bißchen ausländerfeindlich gewesen...
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Bloß gut, daß wir damals 85 verhandelt haben. Jetzt haben wir noch fünf Jahre festgeschriebene Mieten und können aussuchen, wer ins Haus zieht.
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Klar kann man seine Kinder ohne Haß erziehen.
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Das Problem von diesen Leuten da in Hoyerswerda und Marzahn und so ist doch, daß sie diese deutsche Kontinuität nicht begreifen, und die ist ja die Wurzel und Ursache von allem. Die Ausländerfeindlichkeit, also der Faschismus hier, liegt doch in der Mentalität der Deutschen, haben wir neulich erst beim Plenum wieder herausgearbeitet. Also, der Deutsche an sich, gerade auch der Ossi, also mehr so der Normaldeutsche, vor allem der, in dem stecken überall noch kleine Faschos drin, Herrenmenschen und so. Also komisch, der Deutsche, der hat den Rassismus doch irgendwie im Blut... Thomas Kuppinger
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