Don't Fake it, Baby!

■ »Wir Kellerkinder« von Wolfgang Neuss in der Kassenhalle der Freien Volksbühne

Macke Prinz ist 1938 ein elfjähriger Pimpf, der Trommler werden will. Mit seinen Eltern und seiner Schwester Almuth lebt er seit zehn Jahren in einer Kellerwohnung in Berlin. Das ändert sich, als Vater Prinz vom Gruppenleiter Glaubke (der auch ein Verhältnis mit Almuth hat) zum Blockwart befördert wird, womit er das Recht zur Behausung einer Wohnung im ersten Stock erhält. Der dort lebenden jüdischen Familie wird eine längere Reise anempfohlen, und somit ist die Welt in Ordnung. Macke trommelt bei der HJ und übt im Keller.

Als der Kommunist Knösel von Glaubke und Mackes Vater an den Gauleiter ausgeliefert werden soll, versteckt ihn Macke im Keller und erhält dafür Nachhilfe in Sachen Marx und Tucholsky. Dann ist der Krieg zu Ende und Knösel frei. Macke spielt in einem amerikanischen Jazzclub und muß jetzt seinen Vater vor der Entnazifizierungswelle im Keller verbergen. Dort trifft Knösel aus Nostalgie auf seinen früheren Verfolger, und Macke steckt von beiden Schläge ein. Doch mit viel Witz und Musik im Blut sieht er der rosigen Zukunft der fünfziger Jahre entgegen.

Dieser Text, der von Wolfgang Neuss mit seiner eigenen Mischung aus Charme und Chuzpe vor ausverkauften Rängen vorgetragen wurde, war deshalb so anrührend und komisch, weil Neuss auf persönlich Erlebtes zurückgreifen konnte und er mit dieser Reise in die deutsche Kleinbürgergeschichte mitten ins Herz des damaligen Zeitgeistes stieß. Nachgeborene haben es mit den Kellerkindern da schon bedeutend schwerer.

In Bundfaltenhosen und modischem Trenchcoat steht Arno Hermer auf dem kleinen Podest in der Kassenhalle der Freien Volksbühne — allein mit einem Klavierhocker und einer Wirbeltrommel. Seine Hände ständig in den Hosentaschen vergraben, erzählt er mit näselnder Stimme die Neussschen Anekdoten und Geschichten. Dabei versucht Harmer nicht nur, die Zeit von 1938 in die Gegenwart zu transferieren, sondern auch Wolfgang Neuss zu kopieren, was von vorneherein in die Hose gehen muß. Und auch die Songeinlagen von Brüder zur Sonne über Es wird einmal ein Wunder geschehen bis zum Trizonesiensong und Jazz gelingen, obwohl nur angedeutet, eher dürftig.

So bleibt, auch nachdem sich Arno Hermer warmgespielt hat, nur der Eindruck einer nostalgischen Imitation in Kinderschuhen. Und auch die auf dem Programmzettel angekündigte Paraphrase auf die deutsche Vereinigung war beim besten Willen an keiner Stelle zu entdecken. Oft genug ist die Kopie eben schlechter als das Original. Aber auch das ist keine neue Erkenntnis. York Reich

Weitere Aufführungen: heute, am 16. und 17. 4. jeweils um 21 Uhr in der Kassenhalle der Freien Volksbühne, Schaperstraße 24 in Charlottenburg