: Der „wahre Gott der Koreaner“
Nordkoreas Diktator Kim Il Sung wird 80 Jahre alt/ Sein Sohn Kim Jong Il wird zwar zum Nachfolger aufgebaut, ein Machtwechsel scheint aber nicht in Sicht/ Denn der „große Führer“ will 90 werden ■ Aus Seoul Peter Lessmann
Wenn die Schlußläufer einer Geburtstagsstaffel heute in Pjöngjang eintreffen, erreicht das größte Feiertagsspektakel in der Geschichte Nordkoreas seinen Höhepunkt: 21 Städte erweisen dem Präsidenten und „Großen Führer“, wie Kim Il Sung von seinem Volk genannt werden will, ihre Reverenz und Loyalität. Ganz Pjöngjang steht kopf, denn Staatschef Kim wird 80 Jahre — und gefeiert wird mit Pomp, Paraden und Lobeshymnen auf den Diktator. Schließlich ist er der dienstälteste Staatsmann der Welt und einer der letzten großen stalinistischen Führer im 20. Jahrhundert. Seit dem Ende der 35jährigen Kolonialherrschaft durch die Japaner und der Teilung der koreanischen Halbinsel 1945 durch die USA und die damalige UdSSR regiert Kim als unumschränkter Alleinherrscher in dem „Arbeiterparadies“, wie sich die Volksrepublik gerne bezeichnet.
Vorm Geburtstag noch schnell befördert
Und rechtzeitig zwei Tage vor Beginn des Freudentags wurde das Geburtstagskind von seiner Partei noch einmal befördert, zum „großen Marschall“ und Generalissimo der Volksrepublik. Zu seinem Nachfolger hat der Staatschef in einer Art dynastischer Erbfolge bereits seinen 50jährigen Sohn, den „Geliebten Führer“ Kim Jong Il, bestimmt; denn nur der, schrieb die 'Pjöngjang Times‘, hätte alle guten Tugenden des „Großen Führers“ geerbt.
In über vier Jahrzehnten Herrschaft hat Kim Il Sung einen Personenkult um sich aufgebaut, der seinesgleichen sucht. Tausende von Kim-Statuen im ganzen Land und monumentale Pracht- und Repräsentantivbauten wurden zu Ehren des Präsidenten errichtet. Genug sei genug, sagt der „Vater der Nation“ angeblich schon im letzten Jahr, nun sei es an der Zeit, daß sich das Volk eigene Denkmäler baue.
Zu Ehren Kims, berichtete Radio Pjöngjang im März, nannten Wissenschaftler einen künstlich gezüchteten Speisefisch den „Erinnerungsfisch“. Denn es war der große Führer, der ihn auf einer seiner zahlreichen Touren durchs Land entdeckte. „Kim Il Sung ist der wahre Gott der Koreaner, der Retter der koreanischen Unabhängigkeit!“, lauten revolutionäre Parolen, angeblich von ehemaligen Freiheitskämpfern auf Bäumen eingraviert.
Als Befreiungskämpfer wird auch der Präsident in der nordkoreanischen Geschichtsschreibung in zahlreichen Biographien bezeichnet. „Kim war ein gewöhnlicher Mann, der nie gegen die Japaner gekämpft hat“, meint dagegen Park Il, ein ehemaliger Lehrer des Staatschefs. Doch der Mythos um den großen Führer verklärt dessen wahre Persönlichkeit bis zur Unkenntlichkeit. Die nordkoreanische Propagandamaschinerie, so scheint es, funktioniert perfekt — und so scheint auch ein ganzes Volk dem Herrscher und Sonnenkönig zu Füßen zu liegen.
„Die Volksmassen sind glücklich mit unserer Politik, weil wir ihre Hoffnungen in Realität umgesetzt haben. Wir tun absolut nichts, was das Volk nicht mag“, sagte Kim unlängst gegenüber japanischen Journalisten. Wie es in Nordkorea, einem der geheimnisvollsten Länder der Erde, aber wirklich aussieht, darüber weiß die westliche Welt nur wenig. Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international oder Asia Watch sprechen von Konzentrationslagern und Zehntausenden von politischen Gefangenen.
Gerüchte über Lebensmittelknappheit, Energiemangel oder gar Demonstrationen gegen das Regime in Pjöngjang hatte es in den vergangenen Monaten immer wieder gegeben. „Von all dem habe ich nichts gesehen“, sagt allerdings William Taylor vom Zentrum für Strategische und Internationale Studien in Washington. Die Menschen lebten zwar nicht im Luxus, aber es gäbe genug zu Essen und auch genug Strom, meint der Wissenschaftler, der Nordkorea erst im Februar besuchte.
Unter der Führung Kims ist das verschlossene Nordkorea bis heute das „Einsiedler-Königreich“, wie die koreanische Halbinsel noch bis zum Ende des letzten Jahrhunderts bezeichnet wurde, geblieben. Seine Staatsdoktrin ist dabei die Juche-Ideologie (Autarkie und Unabhängigkeit), eine koreaspezifische Variante des Sozialismus.
Doch der Druck auf das Regime wächst
Der geschickte Taktiker und politische Stratege Kim hat sich nie vor den Karren einer der beiden kommunistischen Blöcke in Moskau und Peking spannen lassen, sondern sie jeweils nach politischer Großwetterlage auszuspielen versucht.
Doch der Zusammenbruch der kommunistischen Staaten in Osteuropa hat auch das Regime in Pjöngjang ins Wanken gebracht und dort den Druck zur Öffnung verstärkt. Dazu rieten auch die chinesischen Nachbarn. Nordkorea, dessen Wirtschaft auf einen Bankrott zusteuert, benötigt dringend ausländische Hilfe. Und dabei scheint der Staatschef auf das chinesische Reformmodell zu setzen, um das Regime vor dem drohenden Kollaps und einer Wiedervereinigung nach deutschem Vorbild zu bewahren.
Ein Machtwechsel in Pjöngjang auf den designierten Nachfolger und Sohn des Staatschefs erscheint in dieser prekären Situation als höchst unwahrscheinlich. Es wäre die erste dynastische Erbfolge in einer kommunistischen Gesellschaft. Doch der 50jährige „geliebte Führer“ Kim Jong Il, kaum weniger gepriesen als sein Vater, gilt als unerfahren in der Außenpolitik, und ihm fehlt das Charisma des Staatschefs völlig.
Nordkorea sei heute auf einen Machttransfer noch nicht vorbereitet, sagen politische Experten in Seoul, und Kim Il Sung noch viel zu gesund, um an Abschied zu denken. Und der will noch einige Zeit gesund weiterleben, mit viel Gemüse, Fisch und chinesischem Tee, wie die Seouler Tageszeitung 'Donga Ilbo‘ zu berichten wußte. Noch mindestens 90 Jahre wolle er werden, verriet der Präsident kürzlich in einem Interview. Korea-Spezialisten sind sich da schon fast einig: Erst mit dem Tod Kims würden Veränderungen in dem Regime möglich.
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