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Bigger Than Life

■ Ilppo Pohjolas Film »Daddy And The Muscle Academy. Tom Of Finland« im Xenon, Schöneberg

Männer und der Mythos vom Macho: Wen verlangte es nicht ab und an nach einem »Uebermensch«, wie die bestbestückten Leathermen auf gut amerikanisch unverblümt genannt werden? Den Wenigsten dürfte dabei klarsein, daß sie sich nach einem fleischgewordenen beefcake aus der Vorstellungswelt jenes Mannes sehnen, dessen Name Insidern längst zum Inbegriff (schwuler) Männlichkeit schlechthin wurde: Tom of Finland. Ein verflucht findiger Phantast, der seiner prüden Zeit mit dem Zeichenstift weit vorauseilte. Erst allmählich wird seine nachhaltige Wirkung auf Rockidole wie Freddy Mercury und Madonna zugestanden. Er beeinflußte aber auch Avantgardekünstler wie Andy Warhol und Bruce Weber oder Filmemacher wie Fassbinder und jüngst Isaac Julien, wurde auch außerhalb der gay community wahrgenommen, wo er schon seit Jahrzehnten kultisch verehrt wird.

Kaum zu glauben, aber der knapp einstündige Film des Finnen Ilppo Pohjola ist in der Tat das erste und einzige filmische Dokument über das Lebenswerk seines genialen Landsmannes. Es sollte unerwartet zu Toms Testament werden, das den über Siebzigjährigen bei der Arbeit an seinen letzten Zeichnungen zeigt. Kurze Zeit später, im Oktober vorigen Jahres, verstarb der Meister der von ihm erfundenen Muskelmänner.

Mit erstaunlicher Freimütigkeit erzählt der eher scheue Tom aus einem Leben, das an sexuellen Sensationen weit weniger bereithielt, als seine spektakulären Arbeiten auf den ersten Blick erwarten lassen. 1920 in der finnischen Provinz geboren, fühlte sich der Sohn bescheidener Dorfschullehrer früh den schönen Künsten zugetan und ging zum Studium an die angesehene Sibelius- Musikakademie. Im hereinbrechenden Zweiten Weltkrieg hieß es dann einrücken — vom Konservatorium an die Front. Doch anstatt dem Feind auf dem Feld der Ehre zu Leibe zu rücken, ergibt Tom sich lieber den deutschen Besatzern bei heimlichen Stellungskrieg im Feldbett.

Nach Kriegsende und dem Abzug der Truppen blieb seinem unannehmbaren Verlangen allein das Reich der Vorstellung. Tom, der das grafische Handwerk in der Werbebranche erlernte, begann die handfesten He-Man-Typen aus US-amerikanischen Bodybuilding-Magazinen zu kopieren und so seinen unerreichbaren Idealtyp wenigstens zeichnerisch zu erobern.

Rasch wird aus der heimlichen Passion eine einträgliche Profession, und 1957 erscheinen bei »Physique Pictoral« in Los Angeles die ersten einer endlosen Reihe archetypischer Megastuds, Lumberjacks und viriler V-Torsi. Das glückliche Ende der Zwitter mit dem »dritten« Geschlecht, die bis dahin das schuld- und schambeladene schwule Selbstbewußtsein bestimmten.

Tom of Finland, dessen auf über dreitausend Cartoons angewachsenes Werk seit einigen Jahren von einer eigenen Foundation betreut wird, erscheint mehr als Kultfigur des »Sub« denn als einzigartiger Visionär der Moderne. Der Filmemacher allerdings mochte dem nicht trauen, und so wird das eindrucksvolle Portrait mit allerlei modischem Schnickschnack aufgepeppt. Was die Kamera backstage in darkrooms aufspürt, ist hübsch und ansehnlich, geht aber kaum über das hinaus, was heutzutage rund um die Uhr auf allen MTV-Kanälen flimmert. Unergiebig sind auch die selbstgefälligen Bekenntnisse etlicher ältlicher Proms über ihren Einstieg in die (US-)Lederszene. Allzu deutlich verfällt die Inszenierung einem gängigen Mißverständnis von Werk und Wirkung eines großen Einzelgängers.

Dessen schrankenlose Imagination, wie sie sich in den fabelhaften Super-Sex-Szenen offenbart, wirkt als Blueprint allenfalls unfreiwillig komisch. Wie unter der voluminösesten Staffage die entscheidenden Details auf ein allzu menschliches Maß zusammenschrumpfen, kippt die individuelle Erlösung in eine fragwürdige Entpersonalisierung um, wo es allen einzig um das eine geht. Das allerdings hat mit Tom of Finland, der sich lediglich inspirationshalber in eine Uniform warf, wenig gemein.

Ganz unprätentiös portraitiert die in New York wirkende Schweizerin Isabel Hegner einen von Toms Freunden, Robert Mapplethorpe. Ihr Kurzfilm Eye to Eye, in dem sich ein Ex-Model und -Lover an den bekannten Fotografen erinnert, läuft im Vorprogramm. Roland Rust

Daddy and the Muscle Academy. Tom of Finland . Buch und Regie: Ilppo Pohjola, Kamera: Kjell Lageroos, Musik: Elliot Sharp. Finland 1991. 16 mm, Farbe, 55 Min.

Im Vorprogramm: Eye to Eye von Isabel Hegner. Mit Jack Walls. USA 1990, 16 mm, s/w, 20 Min. Ab 16. April im Xenon, Kolonnenstr. 5, Schöneberg.

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