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Traben für die Prolis

■ Der spröde DDR-Charme der Trabrennbahn Karlshorst wird mit dem Kapitalismus verlorengehen

Supersonic rückt vor Magic Impuls auf die Zielgerade ein. Magic Impuls kommt näher, aber Supersonic liegt vorn«, die Stimme aus dem Lautsprecher auf der Trabrennbahn Karlshorst überschlägt sich fast, und auch die fernglasbewaffneten Zuschauer hält es nicht länger auf den Bänken. »Los Magic gib's ihm!« — »Supersonic zieh! Zieh! Zieh!« hallt es laut von der Tribüne in Richtung Rennbahn. Kopf an Kopf schießen die beiden Traber durchs Ziel. Supersonic hat die Schauze vorn und gewinnt das Rennen. Unter den Klängen der Amboß-Polka ziehen der dreijährige Hengst und der Sulky-Fahrer eine Siegerrunde vor der Tribüne. Das Publikum applaudiert begeistert, was aber keineswegs selbstverständlich ist: »Manchmal schmeißen sie mit Blumen, da sind noch Töpfe dran«, weiß der Rennsekretär Jürgen Matuscheck.

Auf der Trabrennbahn Karlshorst, wo Sommer wie Winter dienstags und samstags Rennen stattfinden, herrscht noch Atmosphäre und Stimmung. Das 66 Hektar große, grüne Areal befindet sich am östlichen Stadtrand von Berlin. Am Rand der 1.200 Meter langen Rennbahn stehen diverse Stallanlagen und eine große offene Tribüne. Trabrennen ist ein Fahrsport. Das Pferd zieht ein zweirädriges, leichtes Fahrgestell, den sogenannten Sulky, hinter sich her, auf dem der Fahrer sitzt. An den Renntagen treten rund 100 Pferde in zehn Wettkämpfen an. Wer anfängt zu galoppieren, wird disqualifiziert. Die durchschnittliche Rennstrecke beträgt 2.000 Meter. Gewettet werden kann auf Sieg und Platz — den kleinen Einlauf (erster und zweiter Platz) und den großen Einlauf (erster, zweiter und dritter Platz). Der Mindesteinsatz pro Pferd beträgt 2,50 Mark, nach oben sind keine Grenzen gesetzt. Die Erfahrung eines Wettbüroangestellten ist, daß der durchschnittliche Besucher pro Rennen 10 bis 15 Mark setzt. Die Gewinnausschüttung wird nach Quoten errechnet. Je mehr Spieler gewinnen, desto geringer wird die Summe, die der einzelne bekommt.

Im Gegensatz zur Galopprennbahn Hoppegarten, wo die Reichen den Sieg mit Champagner begießen, tummeln sich in Karlshorst vor allem Rentner und Proletarier. Die meisten sind Ossis und kommen schon seit Jahrzenten hierher, manche sogar schon seit 1945, als der sowjetische Stadtkommandant Nikolai Bersarin die damals noch sehr holprige Piste für das Trabrennen freigab. Nach der Wende fusionierte Karlshorst mit dem Westberliner Trabrenn-Verein Mariendorf (VTM) und pachtete das Areal neben dem S-Bahnhof Karlshorst von der Treuhandanstalt. »Wir sind der kleine Bruder«, beschreibt Uwe John von der Karlshorster Geschäftsstelle das Verhältnis zu Mariendorf. Ziel sei es, das Gelände sobald wie möglich als Eigentum übertragen zu bekommen. Der Geschäftsführer des VTM, Klaus Pekun gab sich auf Nachfrage »sehr optimistisch«, ob Karlshorst als Rennbahn erhalten bleibe. Voraussetzung sei jedoch, daß durch einen Teilgrundstücksverkauf die erforderlichen Geldmittel in Höhe von 30 bis 35 Millionen Mark für die Instandsetzungen und die Modernisierung lockergemacht werden könnten.

Ihren spröden Charme wird die Trabrennbahn Karlshorst wohl verlieren, sobald der Kapitalismus einzieht. Abgesehen von einem Plakat an der Ziellinie, das eine Springer- Gazette gemietet hat, gibt es hier kaum Werbung. Die Tribüne bröckelt und bröselt, nur die roten Holzbänke scheinen vor kurzem neue Farbe bekommen zu haben. Das Herzstück der Rennbahn ist die Wetthalle. Hier pulsiert das Leben, fließen beim Ausfüllen der Wettzettel Schweiß und Bier in Strömen. In der rauchgeschwängerten Halle hocken zittrige alte Männlein und ergraute Weiblein nebeneinander an weißen Gartentischen, studieren mit Hilfe von Lupen das kleingedruckte Rennprogramm, fachsimpeln über die Pferde und den nächsten Tip, der in ein paar Minuten abgegeben sein muß. Wenn das Startzeichen ertönt, leert sich die Wetthalle mit einem Schlag. Minuten später strömen die Massen von der Rennbahn zurück, um sich auf der Anzeigentafel ihrer Quote zu vergewissern. Die Anzeigentafel ist keineswegs elektronisch, vielmehr werden die Metallziffern mit der Hand durch Schlitze gesteckt.

»So meine Taube, dann woll'n mir mal«, schiebt ein Rentner dem Fräulein am Wettschalter einen Zehn- Mark-Schein zu. Den Tippzettel drückt er sich schnell noch einmal mit einem: »Toi, toi, toi!« an die Lippen, bevor er ihn aus der Hand gibt. Auf welche Pferde er gesetzt hat, will er nicht verraten. »Ich spiele auf Außenseiter«, sagt er und erzählt, daß er seit 1950 regelmäßig herkommt und inzwischen wohl schon eine sechsstellige Summe auf den Kopf gehauen hat. »Ich bin eben Spieler.« Kurz vor der Wende, berichtet der Mann, und seine Augen hinter der Brille fangen an zu blitzen, habe er 42 Mark auf einen großen Einlauf gesetzt und 112.680 Mark gewonnen. Von dem Gewinn, der im Zuge der Währungsunion umgetauscht worden ist, »spiele ich heute noch«. Plutonia Plarre

Am heutigen Ostersamstag finden in Karlshorst ab 14.30 Uhr wieder elf spannende Rennen statt. Zur Feier des Tages wird es auch mehrere Windhund-Showrennen geben. Es empfiehlt sich die Anfahrt mit der S-Bahn.

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