Körper: Offenes Geheimnis

Cher in der Deutschlandhalle  ■ Von Elmar Kraushaar

Stuhlreihen in der Deutschlandhalle und ein Rauchverbot im Saal, der so groß ist wie ein Fußballfeld. Das hat sie nicht verdient, und auch nicht die 6.000, die zur Deutschlandpremiere von Cher gekommen sind. Aber es kommt schlimmer. Eine Leinwand schiebt sich vor die Bühne, und in Filmausschnitten werden die Stationen einer inzwischen fast dreißigjährigen Karriere gezeigt: Die Hippienummer mit Sonny Bono und der Rockabsteiger mit Greg Allman, dann die Kinder, der Oscar, der Grammy, das legendäre „Arschloch“ in der Talk- Show mit David Letterman.

Here I am: Wie eine Göttin steigt sie dann selbst herab, auf der Hebebühne. Cher, das ist Silikon und Skandal, Männerfang und Halbblut. Und Hollywood, allen zum Trotz. Ja, sie ist da: „The bad girl from Wetten daß“, sagt sie. Sie kennt ihre Schlagzeilen hierzulande, und daß sie ihren Arsch noch zeigen wird, verspricht sie obendrein. Dann zeigt sie den Arsch und die Tätowierungen, Korsagen und Bodysuits und Kleider und Kleidchen und Hosen. Und Haare, schwarz und rot und grau, glatt und gelockt, kurz und struppig. Elfmal die Umzugsarie, im Durchschnitt nach jedem zweiten Song.

Denn daß sie singen kann, will sie auch noch beweisen. Mit dem Turner/Cocker-Effekt: Ein cooles Stimmchen, und wenn es dramatisch wird, wird geschrien. Singen konnte Cher noch nie. Sehr wohl aber allen Ehrgeiz mobilisieren, um sich aus dem Schatten der Kerle herauszuschreien, die sich Cher lediglich als optischen Aufheller an die Seite stellten. Das war so, als sie noch im background trällerte für die girl groups der Phil Spector-Ära. Das war so, als sie mit Sonny Bono die flower power- Generation auf bunte Zweisamkeit eindampfte. Und das war so, als sie mit den Machos der Greg Allman- Band im Groupiestatus durch die Lande tourte.

Für Cher nicht genug. Sie wollte ganz oben sein, ganz allein. Und sie sang alles, Bob Dylan rauf und runter, Gershwin-Songs und Edith Piaf, Disco und Heavy Metal, Rock und Pop. Daneben wandelte sie als meistbeschäftigter Kleiderständer durch die US-Fernsehgeschichte, und ihr Körper wurde zum offenen Geheimnis. Den Film ließ Cher nicht außer acht, und sie spielte Rollen, die von dem Effekt lebten, daß ihr niemand zutraute, daß sie diese Rollen spielt.

Mit dem Handwerk steht sie jetzt auf der Bühne. Zeigt Kleider und Körper, singt und spielt Rocklady. Sie wird wissen, daß das alles nicht ausreicht. Deshalb ist die Show durchsetzt mit Firlefanz und PillePalle. Zwei Paare, die Ballett mimen, Flashdance und Schwanensee, dazu ein bißchen Akrobatik und erotische Signale. Die background vocals und die Musiker der Band müssen gut sein, damit nicht weiter auffällt, daß der Star nur Mittelmaß ist.

Cher singt einen Song von Elvis Presley und versucht's mit Love is a battlefield von Pat Benatar. Die Stimmung kommt dann auf — die ganz sichere Nummer —, wenn sie ihre Hits bringt. Dann steht sie da, mit fast nichts am Leib, so sexy, wie es die Propaganda der Männer will, und singt: „Sooner or later, we all sleep alone.“

Mittendrin wieder die Leinwand, Ausschnitte aus ihren Filmen, bis hin zu Mask. In Großaufnahme ein Teenager, mit einem Kopf von doppelter Größe, die Augen am Rand des Gesichtsfelds, ein Nasenrücken ist nicht mehr erkennbar. Und dann steht Cher neben der Leinwand, ganz in weißem Hermelin mit langer Schleppe, auf dem Kopf ein weißer Zarenhut. Das Outfit hat zuletzt nur Mae West gewagt, und Cher stößt damit vor zu ihrem eigentlichen Können, der Travestie.

Die Menschen im Saal bleiben auf ihren Plätzen, viele Frauen sind darunter, für die Cher ein Symbol ist, daß jenseits der Jugendjahre der Spiegel noch sehenswert ist.

Erst ganz am Schluß, wie inszeniert, geben die Ordner nach, und die, die begeistert sind, dürfen vor zur Bühne. Da ist Cher schon bei ihrem Shoop Shoop-Hit angelangt, jeder kann mitsingen und die Arme nach oben reißen. Schließlich, ohne Widerworte, „my last song“. Dann geht das Licht an, Schluß, aus. Eine Zugabe gibt es nicht, und keiner schreit danach.

Cher war da. Ob es ihr Spaß gemacht hat? Sie sah nicht danach aus. Falls sie gearbeitet hat, dann fand die Arbeit hinter der Bühne statt, beim Umziehen. Sie war da, hat ihren Mythos hingeknallt und ihre Schlagzeilen, ihre Karriere und bunte Bilder — halt die ganze öffentliche Person. Das muß man mögen. Für die anderen war es öd, unglaublich öd.

Cher: am 12. Mai in Frankfurt.