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Zwei Mudschaheddinführer im Bruderzwist

■ Achmed Schah Masud verhandelt über eine friedliche Übergabe Kabuls, Gulbuddin Hekmatyar beharrt auf Eroberung

Peschawar/Kabul (ap/afp/taz) — Kann ein Blutbad in der afghanischen Hauptstadt Kabul vermieden werden? Seit dem Sturz des afghanischen Präsidenten Nadschibullah am vergangenen Donnerstag verbinden sich mit den Namen zweier Führer der beiden wichtigsten Rebellengruppen Hoffnung und Befürchtungen: Achmed Schah Masud steht für das Versprechen, er werde Kabul nicht gewaltsam einnehmen, sondern durch Verhandlungen mit den Resten des Regimes Nadschibullahs eine friedliche Übergabe zu erreichen suchen. Dagegen erklärte Gulbuddin Hekmatyar, Chef der radikalsten Rebellenorganisation noch gestern, seine Truppen würden die afghanische Hauptstadt angreifen, falls die Kabuler Notstandsregierung nicht bis zum 27. April zurücktrete.

Einig sind sich beide nur in zwei Punkten: in ihrem Ziel, ein islamisches Regime in Kabul zu errichten und in ihrer langjährigen Feindschaft gegeneinander. Zwischen den Anhängern von Masuds Dschamiat-i-Islami (Gemeinschaft des Islam) und Hekmatyars Hesb-i-Islami (Partei des Islam) kam es in den vergangenen Jahren fast ebenso häufig zu blutigen Kämpfen um die Kontrolle einzelner eroberter Gebiete wie gegen die Regierungstruppen. 1989 ließ Masud vier Kommandanten der Hesb erhängen, die verdächtigt wurden, einige seiner engsten Mitkämpfer ermordet zu haben. Heute kontrolliert Masud — dessen Dschamiat von Tadschiken dominiert wird, dem aber eine Offenheit zur Zusammenarbeit mit verschiedenen ethnischen Gruppierungen nachgesagt wird — durch seinen Militärrat einen großen Teil Nordafghanistans. Hekmatyar ist vor allem im paschtunischen Süden und Osten des Landes stark.

Lebensläufe der beiden Rivalen zeigen viele Parallelen: Beide sind um die vierzig Jahre alt, Sunniten, haben in Kabul studiert und wurden Ende der 60er Jahre in muslimisch-fundamentalistischen Gruppen radikalisiert.

Masud brach seine Ausbildung an der Polytechnischen Hochschule ab, um sich dem Aufstand gegen Präsident Mohammad Daud anzuschließen, der 1973 König Sahir Schah gestürzt hatte. Bald danach floh er nach Pakistan und ließ sich in der Muslimischen Jugendbewegung von Budhanuddin Rabban militärisch ausbilden. Rabban gründete 1978 nach der Machtübernahme der prosowjetischen „Demokratischen Volkspartei“ die Dschamiat-i-Islami und engagierte Masud für die Bildung einer straff geführten Guerillatruppe. Heute soll seine Gruppe die größte Rebellenstreitmacht unter Waffen haben.

Masud rief die Bewohner des Pandschirtales— zumeist Tadschiken wie er selbst — zur Erhebung gegen Präsident Nur Mohammed Taraki auf, der im September 1979 von seinem Stellvertreter ermordet wurde. Da dieser auf Distanz zu Moskau zu gehen versuchte, intervenierten im Dezember 1979 die sowjetischen Truppen mit 100.000 Mann. Masud, der „Löwe von Pandschir“, sammelte seine Kräfte gegen den neuen Gegner, konnte aber nicht verhindern, daß seine Mudschaheddin bei einer sowjetischen Offensive im Pandschirtal 1984 große Verluste hinnehmen mußten.

Während insgesamt drei Feuerpausen konnte der Guerillaführer seine Truppe aber immer wieder neu organisieren. Sein starker Einfluß im Norden Afghanistans brachte Masud immer mehr in Konkurrenz zur Hesb-i-Islami. Nach dem Abzug der Sowjets im Februar 1989 verzichtete Masud nahezu drei Jahre lang auf Aktionen gegen Nadschibullah. Beobachter äußerten schon die Vermutung, daß beide Seiten Einvernehmen erzielt hätten. Erst als sich Anfang April bereits das Ende des Regimes Nadschibullah abzeichnete, entschloß sich Masud zum Handeln. Seine Guerillas nahmen ohne größere Gegenwehr strategische Ziele ein, wie die Hauptstraße von Kabul in die ehemalige Sowjetunion oder den wichtigsten Flughafen des Landes.

Schon einen Tag nach dem Sturz Nadschibullahs folgte die faktische Anerkennung der Machtstellung Masuds: Außenminister Abdul Wakil begab sich zu Masud und nahm die ersten offiziellen Verhandlungen zwischen Regierung und Mudschaheddin auf.

Gulbuddin Hekmatyars Hesb-i-Islami galt lange Zeit als die stärkste der Widerstandsorganisationen gegen das Regime Nadschibullahs. Sein radikalfundamentalistischer Ansatz stellte für den Westen kein Hindernis für Unterstützung dar. Hekmatyar erhielt den Löwenanteil der US-amerikanischen und pakistanischen Finanz- und Waffenhilfe. Mit dem Zerfall der Sowjetunion hat sich jedoch die Interessenlage des Westens ebenso wie der Regionalmächte Iran und Pakistan verändert: Ihnen geht es um eine schnelle Lösung des Konfliktes unter Beibehaltung der territorialen Einheit des Landes. Dazu ist eine Verständigung unter den zahlreichen Rebellengruppen notwendig. Doch vor allem Hekmatyar zeigte sich unwillig, den neuen Gegebenheiten Rechnung zu tragen: Er weigerte sich, an Verhandlungen mit den Nachfolgern der sowjetischen Herren in Moskau teilzunehmen und den UNO-vermittelten Friedensprozeß zu unterstützen. Am Samstag verließ er dann die pakistanische Grenzstadt Peschawar, um, wie seine Organisation mitteilte, „die vor Kabul versammelten Streitkräfte der Mudschaheddin zum Sieg zu führen.“ li

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