: Jesus, Hitler und die Verschwörung der Grauen
■ Kommunikation im Kosmos — Ein intergalaktischer Ufo-Kongreß tagte über Ostern in der Tempelhofer UFA-Fabrik
Frauen in weiten, grellbunt kosmischen Gewändern wandeln über das UFA-Gelände. Einige von ihnen tragen komplizierte Brillengestelle auf den Nasen, manche Brust schmückt ein Gehänge aus Dutzenden Geheimsymbolen, die den freundlich gesonnenen Stämmen der Außerirdischen zeigen sollen: Wir lieben euch, Fremdlinge! Männliche Ufo-Freunde nehmen es mit der Kleiderordnung nicht so genau und tragen auch Cowboystiefel zum Anzug. Sie alle sind gekommen, um dem Guru der Ufologen zu lauschen, Virgil Armstrong, einem 69jährigen Ex-CIAler/Green Barett/Vietnamkämpfer, der nach 22 Jahren Militärdienst an die Öffentlichkeit ging, um eine Verschwörung zwischen den USA und Außerirdischen (ETs) aufzudecken. 1948 soll in Sands Proving Grounds, einem Atomtestgelände in New Mexico, ein Ufo gelandet sein. Als amerikanische Soldaten es aufbrachen, fanden sie, so Amstrong, fünf männliche Körper, etwa einen Meter groß, in enganliegenden silbernen Uniformen. Die Wesen hatten keine Nasen, keine Ohren, unbewegliche Münder, vier Finger, vier Zehen, große Augen, weiße Haut und — verkümmerte Geschlechtsorgane. Die »Fünf von Sands Proving Ground« konnten nicht mehr sagen, was sie auf der Erde wollten — sie waren tot. Nachfolgende Ufo-Besatzungen handelten mit der US-Regierung einen Vertrag aus: die Außerirdischen wollten biologisches Erbgut der Menschen, um ihre Geschlechtsorgane aufzupäppeln, dafür gaben sie den Amerikanern technisches Know-how. Seitdem gibt es auf der Erde ein duales technisches System: für die Öffentlichkeit stinkende Autos, undichte Atomkraftwerke und defekte Nähmaschinen, für die US-Regierung Strahlenwaffen, kosmische Werkstoffe und Raumschiffe. Angefangen hat alles in Deutschland. Adolf Hitler bekam schon in den dreißiger Jahren Besuch aus dem All. Mit Hilfe der »negativen ETs« baute er die V2-Rakete und 1939 ein Raumschiff, mit dem SS-Offiziere 1945 in die Antarktis flohen...
Armstrong unterscheidet 50 verschiedene Völker aus dem All. Es gibt gute ETs von den Plejaden, denen die USA Stützpunkte nahe Four Corner im Südwesten der USA eingeräumt haben, und es gibt bösartige wie die »Grauen«, die Frauen entführen, um deren Eierstöcke zu rauben. Im Entführungsfall gibt Armstrong Frauen folgenden Rat:
1. Ruhe bewahren!
2. Sprechen Sie folgende Sätze:
Stop! What you are doing, is against my free will!
3. What you are doing, is against Christ conciliation!
4. What you are doing, is against universal law!
5. When you don't belief — ask your master!
The master of the universe und die Ufologen wissen, daß wir Menschenkinder aus dem All auf die Erde geworfen wurden, um verschiedene Bewußtseinsstufen zu durchlaufen. Während die meisten von uns noch in der dritten Dimension der Körperlichkeit gefangen sind, gibt es Wege, über Meditation in die vierte und fünfte Dimension des Seins vorzustoßen. Bis zum Jahre 2011 haben wir Zeit, uns zu entscheiden: entweder schaffen wir den Sprung ins Jenseits unserer Vorstellungskraft und fahren heim auf den Planeten, der uns einst ausspuckte, oder wir bleiben das, was wir sind — dumme, gesichtslose Wesen, freigegeben zum Verzehr für alle galaktischen Nichtvegetarier.
Julie Schindehütte von der Berliner »Lichtoase« gibt auf einem Prospekt bekannt, daß sie »ab sofort Julie Ravel heißt«. Frau Ravel ist ein »Channel«, ein Medium, das seit Jahren mit Außerirdischen in Verbindung steht. Etwas schüchtern steht sie in ihrem rosarotem Kostüm auf der Bühne, eine junge Frau, die Soziologie und Pädagogik studierte. »Die Liebe ist der kosmische Telefondraht«, versichert sie den ZuhörerInnen, wir alle müßten gegen unsere Vereinsamung kämpfen, uns anfassen, erleben, fühlen, sein lassen und auch lösen. »Das ich ich bin, und du du bist, ist doch schlimm!« haucht sie ins Mikrofon. »Jeder von uns ist doch dabei, sich zu entwickeln, zu lernen, sonst wären wir doch gar nicht hier! Jeder möchte Frieden auf Erden — doch wer bin ich? Wer bist du?«
Nach einer Stunde voller Gott, Seele, Herz und immer wieder Liebe und Harmonie rumort es im Publikum. Endlich faßt sich ein alter Herr ein Herz und steht auf: »Ich stehe mit Jesus in Verbindung und wollte eigentlich meine Erfahrungen mit Ihren Erfahrungen vergleichen, was praktisch passiert!« Das sitzt. Frau Ravel verspricht, auf der Stelle einen ET in sich aufzunehmen. Was mit ihr passieren wird, schildert sie so: »Zuerst fühle ich einen Code vor meinem inneren Auge, dann eine Vibration im Solar Plexus, bis das Zentrum meines Empfindens ins Herz rutscht. Dann fließt das Wesen in meinen Körper ein.« Gesagt — getan. Julie Ravel sitzt zuerst ruhig mit geschlossenen Augen auf einem Stuhl, zur Entspannug wird klassische Musik eingespielt. Plötzlich atmet sie schwer, ihr Gesicht zuckt, entspannt sich wieder, dann öffnet Julie die Augen — ein fremdes Wesen spricht zu uns. Das Wesen meint, unsere Umwelt sei verschmutzt. Hmm. Wir sollten uns mehr liebhaben. Hmm. Liebe und Harmonie seien die einzige Chance zu überleben. Hmm. Und die unsichtbaren Kristallkugeln, die von dem Wesen auf der Erde installiert wurden, um den menschlichen »Gedankendunst« zu reinigen. Danke!
Der russische Ufologe Valerij Nagibin zeigt Schwarzweißfotos, auf denen mal große, mal weniger große Lichtkugeln und zigarrenförmige Gebilde zu erkennen sind. Zweimal war Nagibin ganz dicht an einem Ufo, konnte jedoch leider seine Kamera nicht schnell genug auspacken, um eindeutige Fotos aufzunehmen. Macht nix. Statt dessen präsentiert er Buntstiftzeichnungen von schönen Frauen, denen er begegnet ist, und die seiner Meinung nach eindeutig aus dem Kosmos stammen.
Douglas Pue aus den USA versichert seinen ZuhörerInnen, daß der Mond seit 1950 von Amerikanern, Russen und Chinesen kolonisiert wird. Die Menschen führten bereits einige Starwars gegen Außerirdische, ein Flug von den Plejaden zur Erde dauert sieben Stunden, und die Amerikaner haben den Golfkrieg gewonnen, indem sie den Irakis drohten, Bagdad mit ihren Geheimwaffen zu dematerialisieren...
Wir wissen nicht, was die ETs von uns wollen, aber eines ist sicher: die Ufologen wollen unser irdisches Geld. Auf dem UFA-Gelände zeigt die kosmische Industrie ihr vielfältiges Angebot. Das reicht von »Unsere Erde zum Aufblasen« für zwei Mark bis zur einwöchigen Frankreichreise »Auf den Spuren des Heiligen Grals« für 3.450 Märker. Bücher, Bilder, Tücher, CDs, Schmuck, Musikinstrumente, Videos, Spiele, Nahrung und T-Shirts ergänzen das Geschäft mit den Ufo-Gläubigen. Die Creme der Ufologen, allen voran Virgil Armstrong und John Lear, reisen um die ganze Welt, um ihre Bücher in Millionenauflagen unters Volk zu bringen.
Sie stehen in harter Konkurrenz zu anderen Verdummungsindustrien, die sich den Markt der alten und neuen Träume von einer Welt teilen, in der einfache Wege zu Glück, Freude und Erlösung führen. Den Ufologen genügt es ja nicht, schlicht und ergreifend an Ufos zu glauben — warum sollte es sie auch nicht geben? Es wird ein umfassendes Heilspaket feilgeboten, ein Bauchladen voller Überraschungen, wie sich Oma Krause die Welt vorstellt: eine Mischung aus Edgar E. Poe und Walt Disney. Dagegen ist nichts einzuwenden, denn in unserer ideologiegesäuberten Zeit hat jeder das Recht, sich Orientierungen zu verschaffen, die das Leben halbwegs erträglich machen. Schlimm wird es jedoch, wenn Virgil Armstrong den deutschen Faschismus verherrlicht, indem er Adolf Hitler als »göttliches Instrument« bezeichnet, als einen »Herrscher der Dunkelheit«, der seinen Job als Gegenspieler Jesus' »gut gemacht hat«. »Es gibt kein Gut, es gibt kein Böse, kein Richtig, kein Falsch: was ist, das ist«, doziert der ehemalige CIA-Mann. Daß Armstrong & Co glauben, Hitler habe nach einem göttlichen Plan der Mayas bis zum Jahre 1987 in Argentinien gelebt, mag man als spinnert abtun. Die Behauptung, es gebe eine zionistische Weltverschwörung eines 1860 in Rußland gegründeten Geheimbundes, der Kriege anzettelt und Hungersnöte herbeiführt, um die Welt zu knechten, ist jedoch dermaßen unverschämt, daß sie ganz und gar unkosmische Maßnahmen rechtfertigt — ein Tritt in das Allerweltlichste täte diesen Herren vielleicht mal ganz gut. Werner
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