: »Ich bin als Bürger fassungslos«
■ Ein kolumbianischer Dozent wurde abgeschoben, obwohl er für seine entsetzten und empörten Arbeitgeber nicht ersetzbar ist/ Zwei Kinder bleiben elternlos zurück/ StudentInnen protestieren
Berlin. »Ich bin als Bürger fassungslos«, empört sich der Flugzeugfabrikant Reiner Stemme über die Zwangsabschiebung des 44jährigen Diplomingenieurs Milton Amador nach Kolumbien. Wäre der seit 12 Jahren hier lebende Kolumbianer nicht kürzlich ohne Vorwarnung abgeschoben worden, hätte er dort eine Stelle als Verkaufsleiter antreten können. »Das war ein Schock. Man nimmt mir mitten im Semester einen Dozenten«, sagt auch Prorektor Dr. Economides von der Fachhochschule der Telecom, in der Milton Amador Übungen in Hochfrequenztechnik abhielt. Prof. Steinmüller, der sich in der TU für die Verbindung von Sprach- und Ingenieurstudium engagiert, bedauert ebenfalls »außerordentlich«, daß der Dozent nicht mehr an der dortigen »Zentraleinrichtung für moderne Sprachen« unterrichten könne.
Was war geschehen? Die Ausländerbehörde unter Innensenator Dieter Heckelmann (CDU-nah) und die Gerichte hatten wieder einmal einen ganz harten Kurs gefahren. Nach Abschluß seines Ingenieurstudiums an der TU im Jahre 1989 hatte sich der Kolumbianer vergeblich um einen Arbeitsplatz in seinem Heimatland bemüht. Er kehrte zurück, begann mit seiner Doktorarbeit und beantragte die Verlängerung seiner Aufenthaltsberechtigung. Doch die Ausländerbehörde und zuletzt das Oberverwaltungsgericht lehnten den Antrag mit dem Argument ab, sein Hierbleiben sei »nicht im öffentlichen Interesse«. Akademiker aus »Entwicklungsländern« sollten die erworbene Ausbildung in ihrem Heimatland anwenden. Es nützte Milton Amador nichts mehr, darauf hinzuweisen, daß er dort keine Arbeit bekam, seine Qualifikation hier aber hochbegehrt ist. Am 1. April wurde er in seiner Wohnung festgenommen, ohne daß er über die sofortige Abschiebung informiert wurde, am 2. April saß er bereits in der Maschine nach Bogota. Er hatte nicht mal mehr ausreichend Geld, Kleidung und Personaldokumente mitnehmen können, so daß er bei seiner Ankunft erneut festgenommen wurde und einen halben Tag in Polizeihaft zubringen mußte.
In der leeren Wohnung zurück blieben seine beiden Kinder, die kurz vor dem Abitur stehende Jenny und der Student Milton junior. Ihre Mutter, Milton Amadors Ehefrau Julia, war zuvor ebenfalls aus privaten Gründen nach Kolumbien gereist. Die Familie wurde zerrissen, die Eltern haben keine Möglichkeit mehr, ihre Kinder hier zu besuchen. Jenny muß darüber hinaus befürchten, ebenfalls abgeschoben zu werden.
Die TU-StudentInnen von der »Zentralen Einrichtung für moderne Sprachen« wollten es nicht bei ihrem Entsetzen bewenden lassen, sie sammelten Unterschriften für Amador. Der Dozent, so ihre Sprecher Wolfgang Busch und Anja Lenze, sei nicht nur für sie unersetzlich:
-Sein im vergangenen Semester begonnener Kurs »Spanisch für Studenten der Ingenieurwissenschaften« fällt ersatzlos aus, weil keine qualifizierte Vertretung zu finden ist. Für die Betroffenen verlängert sich das Studium um mindestens ein Jahr.
-Amadors Arbeit am »Lernprogramm zum computergestützten Grammatikunterricht-Spanisch für Naturwissenschaftler« wird unterbrochen, eine andere qualifizierte Fachkraft ist nicht vorhanden.
-Amadors Mitarbeit an der Gründung eines Sprachenzentrums an der Uni Potsdam ist unmöglich geworden, es gibt keinen Ersatz.
-Seine Übungen an der Fachhochschule Telekom fallen aus. Nur zufällig habe er Ersatz finden können, so Prorektor Economides. Dennoch sei er »sehr beunruhigt« über diese Art von Abschiebung »ohne Erkundigung beim Arbeitgeber«.
-»Einen großen wirtschaftlichen Schaden« beklagt der Chef der Firma Stemme, die Sport- und Erkundungsflugzeuge zum Beispiel für die Feststellung von Waldzerstörung herstellt. Der einmalig qualifizierte Amador habe Millionenprojekte für den lateinamerikanischen Markt vorbereiten sollen, so Reiner Stemme.
Die letzte Hoffnung der StudentInnen und der düpierten Arbeitgeber liegt nun beim Petitionsausschuß des Abgeordnetenhauses. Ute Scheub
Siehe Kommentar auf Seite 35
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