Selbstbewußter Amateurismus

■ »German Underground Cinema« im Werkbund-Archiv

Aus der Versenkung, wo sie am tiefsten ist, von den Dachböden am Chamissoplatz, tauchten gen Ostern Filme auf, die beweisen, daß auch olle Deutschland ein New American Cinema hatte: Es nannte sich vorwitzig German Underground Cinema und begleitete die politischen Aktionen der späten sechziger Jahre mit Bildern, die im Gestus des work in progress gehalten sind: Keine Geschichte mit Anfang und Ende wird geboten, kein Zugriff ermöglicht, vielmehr werden Blicke erhascht, flüchtig aufgezeichnet, mit leichter Hand kolportiert. Meist ist Sommer.

Helke Sanders Subjektitude (1969) beginnt vor einem Schaufenster mit Nußknacker und höflich nickendem Schaf, vor dem einige Passanten herumstehen, die durch ein unsichtbares Band verbunden scheinen. Ihre Gedanken verraten uns zwei angenehme Stimmen aus dem Off. Denkt er: »Komisch, daß sie keine Zöpfe hat.« Denkt sie: »Achtung.«

Ohne viel Federlesens küssen sie sich. Die Kamera schwenkt in unerlaubte Weiten: Kein Hollywood- Film verletzt je das 180-Grad- Schuß-Gegenschuß-Prinzip, schon gar nicht in Liebesszenen, aber hier wird der Raum erratisch durchkreuzt; die Autorität des omnipräsenten Zuschauers weicht dem Kreuz und Quer verliebter Blicke, das Durchstreifen der Stadt wird zur erotischen Entgrenzungserfahrung.

Ein Streifzug durch Stadtlandschaften ist auch Irena Urkljans Berlin Unverkäuflich (1968), eine Art Jean Vigo für Laubenpieper. In zarten Grautönen und den berühmten langen Einstellungen, die für den deutschen Film dieser Jahre so typisch waren, sieht man wildwuchernde Gärten, Nebel über Kanälen, Fischer auf einem Kutter, das feine Gerüst eines Gaswerks und die »schwersten und schwarzlackiertesten Brombeeren, die ich je gesehen habe« (sagt eine Stimme aus dem Off).

Wieder und wieder durchrauscht die S-Bahn das Bild aus verschiedensten Richtungen, als geometrische Formation eher denn als gemeines Transportmittel. Im Gegensatz zu seinem amerikanischen Counterpart hatte der Neue Deutsche Film noch Vertrauen zur bildbegleitenden Sprache: Der Text von Berlin Unverkäuflich ist eine poetische Montage aus Autobiographischem und linker Heimatkunde, dazwischen Einsprengsel aus einem Film Noir, die an die Erkundungen Rolf-Dieter Brinkmanns erinnern. (»An den Mauern treibt der aufgedunsene Orson Welles entlang.«) Der Dritte Mann läßt grüßen. Urkljans Projekt der Poetisierung von Alltagserfahrungen ist natürlich nirgendwo so gut aufgehoben wie im Werbund-Archiv, dem Museum für Alltagskultur, das dergleichen in der Ausstellung aufs ergötzlichste betreibt.

Weil in keinem Land der Heimatfilm so eine beschämende Tradition hatte, mußte die Wiederaneignung der Umgebung im Film der sechziger Jahre »ichwärts« gehen; zu sehen gibt es eigentlich nichts, und genau das war die Sensation. Die andere Möglichkeit, der Heidi-Heimat zu entfliehen, war die Aneignung der Popular Culture, amerikanischer Rock- Songs, Comics — die Camp-Methode, am besten zu sehen in Peter Staimers Eve of Destruction, dem experimentellsten Film des Programms.

Im synkopierten Beat-Rhythmus werden der Titelsong und die flackernden Bilder asynchron zerlegt. Ein tanzendes Paar, ein blonder Comic-Held, ein leeres Karussel, schöne Damen auf dem Laufsteg zu The Eastern world, it is explodin. Wechsel zwischen Filmnegativ und Überblendung, Wiederholungen einzelner Ausschnitte und Verkleinerungen des Films im Film sorgen für die Selbstreflexivität des Kunstprodukts und sind außerdem noch schön anzusehen.

Daß man 16- (statt 35) mm-Filme benutzt, war schon Teil des Credos der Unprofessionalität, des selbstbewußten Amateurismus. Damit verbunden war auch die Wahl der Objekte: Das Unwichtige, die Ausgestoßenen, Unansehnlichen, die auf der Schattenseite eben waren die Stars des Deutschen Untergrundfilms. Während Ulrike Meinhofs Bambule (über Mädchen in einem Erziehungsheim) noch immer in den Giftschränken verstaubt, kann Holger Meins' Kurzfilm Oskar Langenfeld (1966) jetzt nach all den Jahren wieder gesehen werden. In zwölf Szenen mit gierigen Nahaufnahmen zeigt er einen alten Obdachlosen bei seinem Tagewerk, zeigt ihn mit der typischen Liebe des süddeutschen Bürgerkindes für das derbe Berliner Proletariat.

Die wilden Tiere von Ebrach (1969) ist was für die, die dabei waren, als — damals nach der Verhaftung von Reinhard Walter — eine Aktionswoche mit großem Picknick im Freien und Erstürmung des Landratsamtes in Bamberg zum Behufe der Aktenvernichtung stattfand. In der vergnüglich wabernden Menge sieht man, im Jim-Morrison-stride, den jungen Georg von Rauch, Fritz Teufel beim Triumphmarsch aus dem Polizeigefängnis und olle Kunzelmann in alter Frische beim Einschätzen der Lage. Man trank Cola, und Antje Krüger, lange Zeit die einzige Frau in der Kommune I, wirft frohen Muts die Arme in die Luft. Mariam Niroumand

German Underground Cinema 1965-70, heute und morgen abend um 20 Uhr im Werkbund- Archiv, Martin-Gropius-Bau, Kinosaal, Stresemannstraße 110, Kreuzberg.