Musik-Szene wußte von nichts

■ Frankfurter Spitzenorchester will einwandern / Bernbacher: „Heller Wahnsinn“

Musikhochschule und Landesmusikrat und Fink und Star, alle Vöglein, alle haben's erst gestern aus der taz erfahren, daß die „Deutsche Kammerphilharmonie“ womöglich komplett aus Frankfurt nach Bremen übersiedeln will.

„Heller Wahnsinn!“ sagte knapp Klaus Bernbacher, Chef vom Landesmusikrat, „wo hat denn Bremen plötzlich das Geld her?“ Rein künstlerisch seien die jungen Musiker „natürlich großartige Leute“. Aber andererseits „unser Staatsorchester ist seit 20 Jahren unterbesetzt, und in der Musikhochschule fehlen noch immer fünf Professoren!“

Könnten da nicht die Neuen

hierhin den

Abendhimmel

evtl...? Prof. Kurt Seibert, Sprecher der Musikhochschule: „Naja, wenn's der Ausbildung dient. Aber Diktate haben wir nicht so gerne. Wir werden die jungen Leute nicht, bloß weil sie untergebracht werden müssen, freundlicherweise zu Professoren machen.“ Im übrigen ist er, wie Bernbacher, nicht eben begeistert von solchem „kulturpolitischem Aktionismus“ und prophezeit in der hiesigen Musikszene „einen Entrüstungssturm“.

Die „Kammerphilharmonie“, die sich übrigens voll und ganz selber verwaltet, will heute ihren Vorstand zusammentrommeln. Ihm wird Hannes Nimpuno, der Geschäftsführer, erzählen, was er bis gestern in Bremen an Zusagen einheimsen konnte. Nächste Woche wird entschieden. Die Mehrheit der Philharmonie neigt schon jetzt dazu, das Angebot der Stadt Frankfurt, welches die Kulturdezernentin Linda Reisch am Montag unterbreiten wird, zu verschmähen zugunsten der Bremer Lösung. Man fürchtet, daß die verheerende Lage der Frankfurter Kulturpolitik langfristige Zusagen gar nicht mehr gestattet.

Die Stadt, die fünfmal soviel für die Kultur ausgibt wie Bremen (knapp eine halbe Milliarde Mark jährlich), scheint wahrhaftig ihr international bejubeltes Orchester nicht halten zu können, obwohl es den größten Teil seiner Kosten selber einspielt. Das Geheimnis: Linda Reisch ist in Nöten, weil ihr Doppelhaushalt für 1992 und 1993 jetzt schon nicht mehr aufgeht. Es sind überhöhte Einnahmen angesetzt worden; gestiegen sind aber nur die Ausgaben. Weil plötzlich überall das Geld fehlt, muß zum Beispiel das neue „Museum für Moderne Kunst“ im Sommer ganze Etagen schließen; mehrere Projekte (Akademie der Künste, Holocaust-Museum, Literaturhaus) verschlingen Geld für Gutachten und Planungen, kommen aber nicht mehr voran.

„Frau Reisch hat sich einfach übernommen“, sagt Wolfgang Stammler von der Frankfurter CDU-Fraktion. „Sie hat, anstatt den Haushalt zu konsolidieren, enorm viel angefangen, was jetzt so dahinsiecht.“ Von Reisch selber war auch heute keine Stellungnahme zu bekommen.

Gestern erst hat die „Frankfurter Rundschau“, die von den Umzugsplänen noch nichts wußte, die Kammerphilharmonie besungen als ein „Orchester von Weltgeltung“ und die Stadt Frankfurt beschworen, die Kammerphilharmonie nicht „eingehen“ zu lassen: Das wäre ja schon, hieß es, „eine beschämende Blamage“. schak