Luxusgut Wasser

■ In vielen Ländern und ums Mittelmeer ist Süßwasser Mangelware. Verteilungskämpfe ums rare und teure Wasser sind im südlichen Mittelmeerraum vorprogrammiert

In vielen Ländern rund ums Mittelmeer ist Süßwasser Mangelware. Verteilungskämpfe ums rare und teure Wasser sind im südlichen Mittelmeerraum vorprogrammiert.

VON ULLI KULKE

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er Tag ist nicht mehr fern, da die Bibel umgeschrieben werden muß. Niemand wird bald mehr verstehen, wie ein gewisser Jesus Christus ausgerechnet mit dem Zaubertrick Eindruck erwecken wollte, aus purem Wasser süßen Wein zu produzieren — jedenfalls nicht in Israel, dem Ort jener wunderbaren Wandlung.

Dort und in vielen anderen Ländern rund ums Mittelmeer wäre eher eine chemische Formel gefragt, mit Hilfe derer Wein in Wasser zu verwandeln ist. Denn daran wird es mangeln. Bereits heute ist absehbar, daß Wasser in manchen Gegenden teurer gehandelt wird als der Stoff, der den Nahen Osten reich gemacht hat. „Im Jahre 2000 wird Wasser kostbarer sein als Erdöl“, versichert Joyce Starr, US-amerikanische Wissenschaftlerin und Initiatorin des „Weltgipfels über die Wasserpolitik“, in einem taz-Interview. „Was das für die Ärmsten der Armen bedeutet, liegt auf der Hand.“ Damit spielt sie auf die Verteilungsprobleme an, die sich dann ergeben, wenn das „Lebenselexier“ unerschwinglich teuer wird. Mindestens ebenso bedeutsam dürften die internationalen Verteilungskämpfe um das knapper werdende Wasser werden. Handelt es sich doch bei den drei größten Flußsystemen Nil, Jordan und Euphrat, die die südöstliche Mittelmeerregion und die benachbarten Länder versorgen, um solche, die mehrere Staaten durchlaufen: Man kann sich also gegenseitig den Wasserhahn regelrecht abdrehen. Beispiele hat es schon gegeben.

Butros Ghali, früherer ägyptischer Außenminister und heutiger UNO- Generalsekretär, prognostizierte 1985: „Der nächste Nahostkrieg wird um das Wasser des Nils geführt.“ Auf einer Sondertagung hat sich die UNO zu Jahresbeginn in Dublin mit internationalen Komplikationen befaßt, die sich aus Wasserknappheit und grenzüberschreitenden Flußläufen ergeben.

Einige Beobachter gehen davon aus, daß bisherige Nahostkriege bereits von Wasserinteressen geleitet wurden. Nicht weniger als 40 Prozent seines Trinkwassers bezieht Israel aus Gebieten, die es im Sechs-Tage- Krieg eroberte: die Westbank und der Gazastreifen. Professor Elias Salameh, Wasserexperte aus der jordanischen Hauptstadt Amman, meint auch, daß „Israel die eroberten Gebiete im Südlibanon nicht aufgeben wird, bis es sich einen Teil des Wassers aus dem dortigen Litani- Fluß gesichert hat“.

Die Tatsache, daß Israel flußaufwärts am Jordan liegt, bekam Nachbar Jordanien im vergangenen Jahr zu spüren. Mit einer jährlichen Bevölkerungszunahme von 3,6 Prozent müßte das Land seine Wasserversorgung bis zum Jahre 2000 eigentlich verdoppeln. Doch die einlaufende Menge aus Israel nimmt eher ab. Im Frühjahr 1991 sind etwa 3.000 Hektar bewässerten Landes verdorben, weil sie nicht mehr ausreichend mit Wasser versorgt werden konnten, stellt Professor Salameh fest. Im Herbst zog die Regierung in Amman dann die Notbremse: Nur mehr ein Viertel des bewässerten Landes durfte im südlichen Jordantal bestellt werden.

Die Bevölkerung in den Wohnzentren des Landes bekam im Sommer nur ein- oder zweimal die Woche Wasser von den Wasserwerken. Wer es sich leisten konnte, kaufte sich zusätzlich Wasser im Laden oder vom Lkw. Arm und Reich wird sich mithin immer stärker auch an hygienischen Verhältnissen scheiden. Daß die Süßwasserversorgung auch internationale Probleme aufwerfen könnte, ist ein weltweites Problem: 120 der 200 größten Ströme beziehen wesentliche Teile ihres Wassers aus mehr als aus einem Staat. 40 Prozent der Weltbevölkerung leben an grenzüberschreitenden Flußsystemen. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, daß 80 Länder, in denen 40 Prozent der Weltbevölkerung leben, schon heute ernsthafte Wassernöte haben. Doch in der Region des südöstlichen Mittelmeeres kommt eine Reihe ungünstiger Konstellationen zusammen:

—stark steigender Wasserbedarf aufgrund hoher Wachstumsraten der Bevölkerung;

—sehr unterschiedliche finanzielle und technische Möglichkeiten der einzelnen Länder, die Wasserprobleme zu lösen;

—sehr ungleichmäßige Verteilung des Wassers;

—zwei Außenseiter im arabischen Umfeld, Israel und die Türkei, entwickeln sich zu mächtigen Wassermonopolisten ihrer Regionen.

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er Atatürk-Staudamm in der osttürkischen Provinz Anatolien ist nicht zufällig so konstruiert worden, daß er militärischen Angriffen standhält. Er könnte sich zu einem Zankapfel entwickeln. Die Betonmauer ist das erste von drei Stauwerken, mit denen die Wasser des Euphrat angehalten werden sollen, bevor sie nach Syrien und in den Irak hinabfließen. Die trockene Region soll in ein blühendes Agrarparadies umgewandelt werden. Was das bedeuten könnte, davon bekamen Syrien und der Irak Anfang 1990 einen Vorgeschmack. Trotz ihrer Proteste staute die Türkei den Euphrat auf, um den auf 120 Meter Tiefe angelegten See ein wenig aufzufüllen.

Das Wasser wurde knapp. Die Türkei will künftig nur noch 500 Kubikmeter Euphratwasser pro Sekunde außer Landes lassen, doch bereits weniger als 700 Kubikmeter wären für Syriens Landwirtschaft und Trinkwasserversorgung indiskutabel. Wenn alle langfristig geplanten 21 Staudämme an den türkischen Läufen des Euphrat und des Tigris fertiggestellt sein werden, dürfte Syrien 40 Prozent und der Irak 80 Prozent des Euphratwassers einbüßen, der Irak obendrein 40 Prozent des Tigriswassers.

Dabei macht Syrien seinem „Unterlieger“-Staat, dem Irak, seinerseits Probleme. Schon 1975 mobilisierte Bagdad seine Streitkräfte, als Syrien anfing, seinen eigenen Thawra-Stausee am Euphrat zu füllen. Bei einem Treffen der Euphrat-Anrainer auf Ministerebene 1990 wollte man den Konflikt entschärfen — es endete im Eklat. Man trennte sich unverrichteter Dinge.

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er Euphrat und der Jordan sind beileibe nicht die einzigen Streitpunkte in Sachen Süßwasser rund ums Mittelmeer. Sie unterscheiden sich von den anderen nur dadurch, daß es bei ihnen schon zum offenen Konflikt gekommen ist. Ägypten beispielsweise muß latent darum bangen, daß am Oberlauf des Nils etwas geschieht, was seine ganze Existenz gefährdet. Schon heute nutzt das Land 94 Prozent seines Nilwassers, Abstriche in der Versorgung könnte es sich nicht leisten. Libyen zapft seine fossilen, unwiderbringlichen Tiefenwasserreserven im Süden des Landes an. Mit ungeheurem technischem Aufwand wird es nach Norden in die Küstenregionen gepumpt.

Das Problem der zu knappen Wasserversorgung ist in den Regionen am größten, wo die Bevölkerung am schnellsten wächst. Hier steht Nordafrika an der Spitze. In Ägypten leben jedes Jahr 1,3 Millionen Menschen mehr. Die Bevölkerung in Algerien, Marokko und Tunesien dürfte sich, so schätzen Experten, schon bis 2025 mit 127 Millionen Menschen mehr als verdoppeln. Was dies für die Wasserversorgung, die bereits heute an ihre Kapazitätsgrenzen stößt, bedeutet, liegt auf der Hand — von besseren sanitären und hygienischen Verhältnissen für die Bevölkerung gar nicht zu reden.

Gewiß ließe sich durch eine andere Verteilung die Krise noch ein wenig aufschieben, könnte etwa in Ägypten bei der Umstellung der Landwirtschaft von der Baumwolle für den Export zur Selbstversorgung mit Lebensmitteln ein wenig Zeit gewonnen werden. Doch auch die braucht Wasser, zumal bei der schnell wachsenden Menschheit. Und so gehören die südlichen und südöstlichen Mittelmeerstaaten vorrangig zu jenen Staaten, die das renommierte Worldwatch Institute aus Washington kürzlich davor warnte, daß sie ihre Bevölkerung bald nicht mehr ernähren können.

Viele Flüsse spenden weniger Wasser, weil die Wüsten sich ausbreiten und der Regen — wegen der damit verknüpften Klimaveränderung — ausbleibt. Die Landwirtschaft, selbst hochgradig abhängig von der Wasserversorgung, verursacht den Wassermangel selbst, weil sie das Wasser versalzt und chemisch verseucht.

Die internationalen Streitigkeiten setzen sich auf nationaler Ebene fort. Phänomene, wie wir sie heute sowohl in den USA als auch in China feststellen, könnten bald Beispiele für viele andere Länder abgeben. Dort wurden landwirtschaftliche Flächen bereits stillgelegt, weil die wohlhabenderen Städter den Bauern das Wasser vor der Nase wegkauften. Gleiche Probleme bringt der expansive touristische Ausbau in Ländern wie Ägypten oder Tunesien mit sich. Die reichen Touristen verbrauchen das rare Gut Wasser. So wird der Zugang zum Wasser letzten Endes eine Frage des Wohlstands.