: Zitatenmischmaschine
Kazuko Watanabe inszeniert Elfriede Jelineks „Clara S.“ im Düsseldorfer Schauspielhaus ■ Von Gerhard Preußer
Von der Decke hängt ein riesiger Geldschein und glänzt im Licht. In der Ecke steht ein moderner Musikautomat und perlt Töne vor sich hin. Der Geldlappen ist ein Hundertmarkschein und zeigt das Konterfei Clara Schumanns, das Musikgerät ist ein Disklavierflügel und trägt den Namen einer japanischen Klaviermarke. Den blauen Schein kennt jeder, und das schwarze Möbel wird uns im Programmheft vorgestellt: ein programmierbarer Computerflügel, der alleine spielen kann, die High-end-Version der Jahrmarktsorgel.
Zehn Jahre nach ihrer Uraufführung haben Wirtschaft und Technik Elfriede Jelineks musikalischer Tragödie zu ungeahnter Aktualität verholfen. Clara S. geht täglich durch unsere Hände, fälschungssicher, in millionenfacher Vervielfältigung mit sich identisch, die Ikone der Käuflichkeit. Und Jelineks Bühnensprechmaschinen haben einen ebenbürtigen Partner gefunden: die Musikmaschine. Aus Jelineks Monsterfiguren wie aus dem hölzernen Monstervogel quillt unaufhörlich Hochkultur: gelehrte Zitate zum virtuosen Potpourri arrangiert von Mozart bis Rachmaninow, von Hölderlin bis Heidegger.
Zunächst tritt die menschliche Vorläuferin des Disklaviers auf, die Pianistin, die sich weigert, Gebär- und Musikmaschine zu sein: Clara Schumann. Dann folgt der Geldbesitzer und Frauenmillionär, der Erotomane des Maschinenzeitalters: Commandante Gabriele D'Annunzio. Die widerhistorische Begegnung dieser beiden Prototypen weiblichen und männlichen Künstlertums macht den kümmerlichen Handlungsrest aus, den Jelineks Destruktion der Gattung Drama übrigläßt. Clara bettelt bei D'Annunzio um Geld für ihren aus der Irrenanstalt befreiten Mann Robert, damit er seine Sinfonie komponieren könne. Der sexuelle Großverbraucher aber verlangt „Körperhingabe“, die keusche Clara weigert sich.
Als Robert behauptet, den Strauß- Walzer An der schönen blauen Donau komponiert zu haben und die Urheberschaft seiner fis-moll-Klaviersonate ableugnet, erwürgt Clara ihn mit ihren „diszipliniert trainierten Fingern“.
Das Stück wird seit der Uraufführung kaum nachgespielt. Man wirft ihm vor, es traktiere immer nur eine These zu Tode: daß die Frauen Opfer der Männer seien. Doch Jelineks Clara S. ist kein tragisches Opfer, sie ist eine synthetische Figur, ein Sprechaggregat für gemischte Zitate von Clara Schumann, Thomas Bernhard und Ria Endres, der feministischen Literaturwissenschaftlerin. Die Texte, die sie spricht, reflektieren das Verhältnis von Geniekult, Originalitätssucht, Abstraktionsflucht und Körpervergessenheit in unseren Vorstellungen vom Künstler: „Diese schreckliche Liebe zu den Abstraktheiten! Diese totale Abstraktion Musik.
Alles, was aus dem Körper herauskommt, das Kind etwa, alles ist dem Mann ein Ekel. Gleichzeitig regt er die Frau aber dauernd zum Gebären an, um sie an ihrer Kunstausübung zu hindern. Er will keine Konkurrenz erwachsen sehen. (...) Diese Hirnblütler! Sie arbeiten gegen ihre Körper an. Diese Verklemmungen, die zur endlich todbringenden Kopfkrankheit führen! Sie leugnen den Körper, schieben ihn der Frau zu, und der Schöpferkopf platzt.“ Ernst und Ironie, wütende feministische Attacke und milde Selbstverspottung liegen hier dicht beieinander. Clara S. ist unaufführbar, wenn man es als Charaktertragödie versteht. Spielbar wird das Stück erst als Modenschau mit Text und Musik.
Kazuko Watanabe, die Bühnen- und Kostümbildnerin, die erst seit kurzem auch Regie führt, geht diesen Weg. Die Roben sind kostbar und schön, der automatische Flügel trällert und donnert, der Text rinnt beiläufig aus den Figuren. Luisa (Christiane Lemm), die venezianische Pianistin und Geliebte des Commandante, grinst süffisant, Aélis, seine Haushälterin (Elisabeth Krejcir) reckt das Kinn empor, Clara (Barbara Nüsse) hält die Hände vor den Schoß und D'Annunzio (Peter Brombacher) knöpft sich die Hose auf. Jede Figur hat ihre stereotype Geste.
So hat die Inszenierung einen oberflächlichen Witz, der täuscht und trifft. Das Bühnengeschehen ist plumpes Gegrabsche und Gekicher, erotischer Ringkampf, Freßgelage mit Plastikhummern und Gehampel am Klavier. Der Text löst sich davon ab und führt ein Eigenleben.
„Ich möchte seicht sein“, sagt Elfriede Jelinek, wenn sie gefragt wird, wie ihre Stücke zu inszenieren seien. In Düsseldorf kam die Autorin sichtlich erfreut zum Beifall auf die Bühne. Der Inszenierung gelingt es, Jelineks Textgewoge als seichtes Wässerchen zu verkaufen.
Elfriede Jelinek, Clara S. Musikalische Tragödie. Düsseldorfer Schauspielhaus (Kleines Haus). Regie, Bühne, Kostüme: Kazuko Watanabe. Mit: Barbara Nüsse, Christoph Quest, Peter Brombacher. Weitere Vorstellungen am: 13., 16., 17., 23. Mai.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen