: Im Anfang waren die Hand, das Licht und die Tusche
■ Eva-Maria Schön zeigt ihre neuen Arbeiten in der Galerie Anselm Dreher: Primitive Technik mit raffinierter Wirkung
In unserer schönen postmodernen Kunstwelt herrscht die Überzeugung vor, daß ein Ursprung endgültig nicht mehr zu haben ist und nur noch Simulationen von Simulationen in Erscheinung treten. So mutet es beinahe archaisch an, wenn eine konzeptuell arbeitende Künstlerin wie Eva-Maria Schön sich auf das erste Instrument rückbesinnt, das Menschen gegeben ist: auf die Hand.
Eva-Maria Schön, 1948 in Dresden geboren, absolvierte in Düsseldorf zunächst eine Fotografinnenlehre, bevor sie das Studium an der dortigen Kunstakademie bei Klaus Rinke aufnahm. Vor etwa vier Jahren begann sie direkt mit den Fingern auf Papier zu malen. Sie setzte ihre Hand dabei nicht emotiolnal, sondern technisch ein. Durch unterschiedlichen Druck auf dem Papier entstehen unterschiedliche Farbschattierungen, die fließend, Ton in Ton ineinander übergehen und einen organisch-plastischen Eindruck erwecken.
Eva-Maria Schön verwendet eine spezielle schwarze Tuschmischung, durch die auf dem Blatt unvermittelt der Eindruck eines fotografischen Negativs entsteht. Der Kontrast zwischen der Einfachheit des geradezu primitiv zu nennenden handwerklichen Verfahrens und der hochartifiziellen Erscheinung der Zeichnungen ist verblüffend. Sie wirken wie High-Tech-Aufnahmen aus dem Rasterelektronenmikroskop oder wie Laserdrucke aus einem abgefahrenen Grafikprogramm zur Darstellung von Fraktalen.
Wenn Eva-Maria Schön den Bewegungsspielraum der Hand künstlerisch ausmißt, entstehen durchaus gegenständlich zu lesende Zeichnungen. In der Ausstellung liegen in einem Raum auf sechs Wellpapp-Tischen Papierbögen, die fossilartige Tuschzeichnungen zeigen, wie aus einem Naturkundemuseum entführt. Da gibt es gefäßartige Gebilde, die an prähistorische Trinkbecher erinnern, skelettartige Formen, die aussehen wie versteinerte Seepferdchen, Schachtelhalme oder Spargelschößlinge, aber auch abstraktere Verwischungen, die eher ein gefaltetes Blatt oder ein aufgeschlagenes Buch assoziieren lassen.
Der Bruch zwischen Produktions- und Erscheinungsform der Zeichnungen wird durch die Assoziation an Vorgeschichtliches überbrückt und in Richtung der kultur- und kunstgeschichtlichen Entwicklung des Menschen thematisiert. Wirkliche und nicht scheinbare Fotografien legen in der Ausstellung den Arbeitsprozeß offen. Bei der künstlerischen Arbeit in der Dunkelkammer wird die Tinte durch Fixiersalzlösung ersetzt. Analog zur Tuschmalerei führt auch auf dem Fotopapier der unterschiedliche Druck der Finger zu unterschiedlichen Helligkeitsgraden, indem die lichtempfindliche Schicht des Papiers unterschiedlich ausgewaschen wird.
Anders als bei den Tuscharbeiten läßt Eva-Maria Schön bei den Fotografien ihre Hand bei der Belichtung auf dem Papier. Durch die Abbildung des menschlichen Körperteils wirken die Fotos wie Röntgenaufnahmen, was ihrer Funktion im Zusammenhang der Ausstellung entspricht, den inneren Herstellungsprozeß der Tuschbilder zu veranschaulichen. Indem sie als Fotografien jedoch wiederum eine andere Art von Fotografie, nämlich die Röntgenfotografie, vortäuschen, bringen sie eine neue Reflexionsebene in das Verhältnis von Produktions- und Erscheinungsweise. Sie dokumentieren ihren Herstellungsprozeß nicht einfach in der Weise, daß sie ihn entlarven, sondern bilden zugleich Anlaß, die künstlerische Arbeit zu dechiffrieren.
Diese Spur wird in anderen Arbeiten weiterverfolgt, die die Tuschmalerei direkt mit der Fotografie konfrontieren. Auf der Fotografie eines Tuschbildes ist wiederum ein weiteres Tuschbild gemalt, so daß das Medium erst auf den zweiten Blick erkennbar wird.
Die Arbeiten Eva-Maria Schöns wecken weitläufige Konnotationen an organische Evolution, Kalligraphie, écriture automatique, Rorschachtests und so weiter. Sie bilden einen wohltuend eigenständigen Weg; Originalität, kaum noch für denkbar gehalten, scheint hier doch wieder möglich geworden zu sein. Werner Köhler
Bis 30. 5. Di.-Fr. 14-18.30 h, Sa. 11 bis 14 Uhr, Galerie Anselm Dreher, Pfalzburger Str. 80
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