Geschichte des ökologischen Bewußtseins

■ Der Rückblick scheint mit diesem Buch Jost Hermands gesichert, die Zukunft bleibt leider weiter schleierhaft

Wer früher auf ein Ökologie-Seminar fuhr, tat gut daran, sich Ulrich Linses Ökopax und Anarchie. Eine Geschichte der ökologischen Bewegungen in Deutschland, zuerst München 1986, ins Jackett zu stecken. Damit stand eine sichere Bank der Öko-Bewegungen und ihrer führenden Männer zur Verfügung, und man/frau konnte mit Exkursen in die Geschichte des Verhältnisses Menschen und Natur im Deutschland des 20.Jahrhunderts glänzen — zwischen Fürst Bismarck und Holger Börners Startbahn West. Der Linseschen Geschichte der ökologischen Bewegungen stellt Hermand jetzt Veröffentlichungen zur Geschichte des ökologischen Bewußtseins an die Seite, für die in der erwähnten Jackentasche unbedingt noch Platz freigehalten werden sollte. Hermand gründet die Geschichte des modernen Mensch-Natur-Verhältnisses in Westeuropa im 18.Jahrhundert und verknüpft dies zu Recht mit der Zentralisierung, Verstädterung, Industrialisierung und Bevölkerungszunahme, die als „Modernisierungsschub“ bezeichnet werden können. Die unzweifelhafte Stärke des Hermandschen Zugriffs liegt dabei in der Vermittlung zeitgeschichtlicher, sozioökonomischer und ideengeschichtlicher Betrachtungsebenen des Verhältnisses gesellschaftlicher und ökoideologischer Entwicklungen. Er bereichert dies um einen ausgeprägten Einbezug der zeitgenössischen Literaturen. (Goethes Faust II— die Erde den Menschen Untertan?— nimmt für Hermand dabei eine Sonderstellung ein. Den LeserInnen wird die Rezeptions- und Interpretationsgeschichte als Spiegel der Umwelt-Bewußtseins-Geschichte vorgehalten.)

Bereits im ersten Kapitel, „Das ,Versprechen der Natur‘ im Zeitalter der Aufklärung“, verdeutlicht sich seine ideologiekritische Herangehensweise am bürgerlichen Postulat „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. Aus der Freiheit zur politischen Zukunftsgestaltung, zu der die weltverbessernden Ideen der Tugendparks, Freiheitsbäume und Freiheitsparks als erste Schritte zu weiträumigen Aufforstungen gehörten, erwuchs die wirtschaftliche Handels- und Produktionsfreiheit, deren Loblied „freie“ Marktwirtschaft derzeit schriller denn je in den rot-grünen und alternativen Ohren klingt: Eben „Freies Wirtschaften“ und Konsumfreiheit versus „Freie Natur“. Als Rückgriff auf die These, die Umweltbewegung sei so alt wie der Schaden selbst, sei hier auf die immer wieder erschreckend klare Sicht auf Umweltschäden in den vergangenen Jahrhunderten verwiesen, mit der etwa 1794 im französischen Konvent die Folgen des Raubbaues an den Wäldern beschrieben wurden: „Mit der Zerstörung der Wälder... hat der Mensch sich gegen sich selbst gewandt. Wir sind in eine Umwelt von Pflanzen hineingeboren worden, die Natur hat die Erde mit ihnen bedeckt, um uns zu ernähren, sie hat sie in ihren wohltätigen Absichten als Regulativ eingesetzt. Die Blätter speichern die Feuchtigkeit und verwandeln sie in Nebel und Regen. Dadurch wiederum entstehen Quellen. Die Blätter fangen darüber hinaus die ungesunden Bestandteile der Luft in sich auf und wandeln sie in lebenswichtige Stoffe um.“

Schon damals resümierte der Abgeordnete Jacques-Michel Coupé nicht ohne Zweifel: „So viele kostbare Wohlthaten sind gedankenlos vom Menschen selbst zunichte gemacht worden. Er hat die Wälder und das Buschwerk der Gebirge abgeschlagen.“ (p. 30)

Einige ausgewählte Kapitel grüner Utopiegeschichten seien noch angesprochen. Spannend für die Umwelt-Erziehenden dürfte die Strömung der „Monistischen Naturbeseelung“ sein, die im späten 19.Jahrhundert versuchte, „den goetheanisch-spätromantischen Pantheismus und den biologischen Evolutionismus“ in ihr literarisch- volksbildnerisches Programm einzubeziehen. Diese Schule verbindet sich in Deutschland untrennbar mit dem Namen Ernst Haeckel, der 1866 unter dem Begriff „Ökologie“ „die gesamte Wissenschaft von den Beziehungen der Organismen zur umgebenden Außenwelt“ verstanden wissen wollte (p. 71). Natur-Wissenschaftlichkeit verbindet sich mit einer Naturphilosophie/-religion, die den „aufgeschlossenen Menschen ,jenen reinsten Genuß des Gemüts‘ sowie ,jene sittliche Veredelung der Vernunft‘ beschere, welche ,auf keinem anderen Wege erlangt werden‘ könnten“. Diese Haeckelsche Vorstellung ist mit Kirchlichkeit oder Aberglauben nicht in Verbindung zu bringen; in ihr ist vielmehr eine unabhängige humanistische Wertesetzung zu sehen, die sich falschen gesellschaftlichen System- oder sogenannten Sachzwängen (sprich: Produktions-, Verwertungs- und Konsumzwängen) widersetzen könnte. Und sicher ist in dieser Literatur der „Weltgeheimnisse“ jenes Erfolgsrezept angelegt, mit dem Naturfreunde und -schützer zwischen naturbegeistertem, affirmativem Eindruck (auch: Romantik und Seelenpflege, Bergfahrt) auf der einen Seite, Bildungshunger und in freien Assoziationen eingebetteter Schulung andererseits (Erdgeschichte, Zoologie, Botanik) reüssierten.

Wie aber sollte heute eine wirksame Umwelterziehung angelegt sein? Lediglich eine „aufklärende“ Heranführung an den ubiquitären Umweltschaden wäre pädagogisch doch wohl allenfalls als Totschlagslinie für Engagement und Einmischung zu begreifen.

Wenn bei Hermand die „Sozialistischen Ökologiekonzepte“ knapp oder „schlecht“ wegkommen — außer 20 Zeilen zu den sozialdemokratischen „Naturfreunden“ (gegründet 1895) bleibt nicht viel Positives aus der Betrachtung ihrer gesellschaftlichen Einflüsse —, so steht dahinter das ungelöste wie vielleicht unlösbare Dilemma der Arbeiterbewegung, das mit ihrem „Fortschrittsglauben“ und der „Vollbeschäftigungs“-Forderung in Eckwerten umrissen ist. Hatte man nicht womöglich an seinen Darwin gern geglaubt, weil doch dann die Gesellschaft wie die Natur gesetzmäßig organisierbar, erklärbar, veränderbar wurde, und so vielleicht der Weg vom Affen zum Menschen und schließlich zum freien Menschen im sozialistischen Paradies hinevolutionierte? So, wie die Zeit des Kapitalismus weckerhaft abliefe, wurde der Industrialismus nicht mehr hinterfragbar, blieb vielmehr die elektrifizierte Zukunft als „saubere“ Utopie?

Welche Utopie gibt Jost Hermand den LeserInnen mit? Credo: „...die Qualität des Lebens über die Quantität der materialen Bedürfnisse zu stellen, der Natur mit mehr Respekt und nicht mit einem beutegierigen Zugriff entgegenzutreten, allen Verführungen zu Hektik und einseitiger Sucht zu widerstehen ...und sich schließlich mit einem verständnisvoll liebenden Bezug zu sich selbst und anderen zu begnügen, anstatt sich allein von verbrauchsbetonten Impulsen beherrschen zu lassen“. Fazit: Klare Bilder der ökologischen Bewußtseinsgeschichte gezeichnet, Zukunft wie gehabt schleierhaft? Der Weg zur Hölle war schon immer mit guten Vorsätzen gepflastert. Klaus-Peter Lorenz

Jost Hermand: Grüne Utopien in Deutschland. Zur Geschichte des ökologischen Bewußtseins. Frankfurt/M. Ende 1991. 223 S., 16,80 DM.