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... und hatten die Pest an Bord

Im Herbst sticht die bislang gefährlichste Meeresexpedition der Geschichte in See: Tonnenweise wird dann Plutonium von Europa nach Japan verschifft/ Kooperation der japanischen, US-amerikanischen und europäischen Atomindustrie  ■ Von G. Blume & M. Schneider

Seit Jahrhunderten bieten Seeabenteuer den Menschen einen besonderen Anreiz. Es fasziniert sie offenbar, ihr Schicksal den Unwägbarkeiten des Meeres auszusetzen. Gerade rechtzeitig zu den Feierlichkeiten um Europas berühmtesten Seefahrer, Christoph Columbus, steht der Menschheit nun endlich wieder eine große Überseefahrt ins Ungewisse bevor: 1992 startet die erste Plutoniumflotte der Welt, beladen mit jenem Stoff, der die Menschen nicht nur bereichern, sondern sie auch zerstören kann.

Für das gefährlichste Meeresabenteuer moderner Zeiten liegt die Flotte bereits im Hafen. Am 8. April lief in Tokio das sondergefertigte Begleitschiff „Shikishima“ vom Stapel, dessen Machinengewehrgeschütze eventuelle Plutoniumräuber erschrecken sollen. In Europa wartet unterdessen der englische Atomfrachter „Pacific Crane“ auf die neue Mission. Manche munkeln aber auch, daß das bisher unter britischer Flagge segelnde Schiff bereits vor zehn Tagen in Japan eingelaufen sei und demnächst unter neuer Flagge und neuem Namen möglichst unentdeckt seine Mission antreten wird. Das mit siebentausend Tonnen Verdrängung nur mittelschwere Transportschiff wurde in den letzten Monaten generalüberholt und mit zusätzlichen Sicherungsanlagen gegen Feuer und radioaktive Lecks versehen. Gemeinsam wird das englisch- japanische Bootsgespann irgendwann im Herbst zu geheimer Stunde den französischen Hafen Cherbourg verlassen — mit der Pest an Bord.

Wie alle großen Seereisen ist die Erdumschiffung der Plutoniumfracht von langer Hand vorbereitet. Das Unternehmen wird von den Regierungen der USA, Japans und Frankreichs überwacht. Die Idee resultiert aus dem langjährigen Bündnis der amerikanischen, japanischen und europäischen Atomindustrie.

Aus den USA nämlich stammte das angereicherte Uran, das seit Anfang der siebziger Jahre in japanischen Atomkraftwerken verbraucht und danach im französischen La Hague und im englischen Sellafield aufgearbeitet wird. Von Anfang an war dabei klar, daß die Rückstände der Wiederaufarbeitung, darunter das hochgiftige Plutonium, eines Tages nach Japan zurücktransportiert werden müssen. 1992 ist es nun soweit. Bis nach der Jahrhundertwende sollen so 30 Tonnen Plutonium verschifft werden. Das Atomrisiko geht auf Weltreise.

Als Ergebnis der Plutoniumschifferei könnte Japan schon im Jahr 2010 über die weltweit größte Menge des gefährlichen Stoffes verfügen. Asiatische Nachbarländer haben bereits Protest angemeldet. Derweil wollen amerikanische Kongreßabgeordnete nochmals die Gefahren des Plutoniumtransports überprüfen lassen, nachdem ihre Regierung das Unternehmen bereits gebilligt hat. Nach einem Zusatzreglement des amerikanisch-japanischen Kooperationsabkommens von 1988 muß Japan der US-Regierung einen Transportplan für das aus den USA stammende Plutonium zur Genehmigung vorlegen.

Nicht einmal die Wissenschaft hat bislang festgestellt, wieviel Plutonium genügt, um den Pazifischen oder auch nur den Indischen Ozean zu vergiften. Wir wissen nur, daß einige Gramm ausreichen, das Trinkwasser einer Großstadt zu verseuchen. Wenige Mikrogramm sind für den Menschen krebserzeugend. Eine Dosis von 0,000001 Gramm im Blut ist tödlich. Dabei könnte der Jahrtausendstrahler Plutonium auch über vergiftete Fische aus dem Ozean zurück in die Nahrungskette der Menschen gelangen. Verloren geht der Stoff jedenfalls nicht: Plutonium strahlt auch nach 24.000 Jahren noch halb so stark wie heute.

Der Kapitän der Pacific Crane wird sich von solchen Einwänden nicht aufhalten lassen. Mit jeweils einer Tonne spaltbarem, d.h. waffentauglichem Plutonium unter Deck sticht er in See. Kein Kriegsschiff, nicht das größte Atomunterseeboot, hatte je so viel des gefährlichen Stoffes geladen. Die Menge reicht aus, um annähernd hundertzwanzig Atombomben mit der Sprengkraft von Nagasaki zu bauen. Doch Nagasaki liegt nicht auf hoher See, sagen die Plutoniumschiffer.

„Was die Sicherheit des Transports betrifft“, erklärte Takao Ishiwatari, Oberverwalter der japanischen Plutoniumindustrie, am Ostermontag auf einer Pressekonferenz in Tokio, „sind wir zuversichtlich.“ Ishiwatari, Vorsitzender der „Japanischen Kernbrennstoff-Entwicklungsgesellschaft“ (JNFDC), beteuerte überschwenglich, die Sicherheitsvorkehrungen an Bord von Pacific Crane und Shikishima überträfen sogar die Vorgaben der Wiener Atombehörde IAEA. Gemeinsam mit einer Tochter der British Nuclear Fuels ist die JNFDC als Vertretung der japanischen AKW-Betreiber verantwortlich für den Plutoniumtransport.

Natürlich wissen die Plutoniumkapitäne aus Europa und Japan das Recht hinter sich. Denn tatsächlich hatte die IAEA, der nach internationalem Recht die Überwachung allen Umgangs mit Plutonium zusteht, schon am 11. Oktober 1990 zu Protokoll gegeben, daß sie „über keine neuen Erkenntnisse verfüge, wonach die Unfallsituation an Bord eines Schiffes jenseits dem Sicherheitsniveau läge, das durch die Testvorschriften der IAEA abgedeckt wird“. Wien gab damit grünes Licht.

Doch mit welchem Beweismaterial argumentierte die Behörde? Wen hatten die Wiener Kontrollbeamten ob der Winde befragt, die um das Kap der guten Hoffnung oder Kap Horn wehen? Denn in zwei von drei möglichen Schiffahrtsrouten werden die Plutoniumsegler durch eine der beiden berüchtigten Ozeanschneisen an den Spitzen Afrikas und Südamerikas kreuzen. 17.000 Seemeilen mißt die längste Strecke um das Kap Horn. Dabei soll der Atomkonvoi ohne Halt in bis zu 60 Tagen die Reise von Europa nach Japan zurücklegen und jede Nähe zum Land so gut es geht vermeiden.

Als wichtigste Sicherheitsvorkehrung an Bord lagert das Plutonium angeblich gut verpackt in schweren Stahlcontainern, die eine Höhe von 1,3 bis zwei Meter messen und 500 bis 1.500 Kilogramm wiegen. Das Plutonium selbst befindet sich darin in Puderform, umgeben von Glasblöcken. Direkt auf der Pacific Crane bewacht eine antiterroristische Sondertruppe der japanischen Polizei die giftige Pulverfracht. Weitere achtzig schwerbewaffnete Männer stehen auf der Shikishima mit zwei Hubschraubern zum Einsatz bereit. Als 1984 zum ersten Mal überhaupt die vergleichbar kleine Menge von 251 Kilogramm Plutonium von Europa nach Japan transportiert wurde, stellten Kriegsschiffe der amerikanischen und französischen Marine die Atomeskorte. Jetzt werden die Japaner das Kommando übernehmen — allerdings mit reduzierter Mannschaft.

Denn Japan verfügt über eine Friedensverfassung, die es dem Land bislang verbietet, seine Soldaten und Kriegsmaterial ins Ausland zu schicken. Deswegen konnten nicht Kriegsschiffe für die Bewachung des Konvois geordert werden, sondern die Shikishima mußte eigens im Auftrag der zivilen japanischen Küstenwache gebaut werden. Doch kann das für eine solch lange Reise ebenfalls relativ kleine Bewachungsschiff (6.600 Tonnen Verdrängung) alle denkbaren Angreifer fernhalten, zum Beispiel ein terroristisches Himmelfahrtskommando?

Bislang beschäftigen sich die Sicherheitsexperten vornehmlich mit anderen, besser zu kalkulierenden Risiken auf See. Das größte davon: Feuer an Bord. Eine im Auftrag von Greenpeace erstellte Studie amerikanischer Wissenschaftler warnt vor einer Freisetzung des Plutoniums im Fall eines Schiffsbrandes und der eventuellen Versenkung der Fracht. So hatte am 10.4.91 die Fähre „Moby Prince“ nach ihrem Zusammenprall mit dem Tanker „Agip Abrozzo“ Feuer gefangen. Der Brand währte 45 Stunden bei Temperaturen über 1.000 Grad Celsius. „Nach dem Zusammenstoß mit einem Öltanker“, schreiben die Experten des ECO-Instituts in Maryland, „könnte ein Ölfeuer an Bord des Atomfrachters Bedingungen schaffen, die — sowohl was die Hitze als auch die Dauer des Brandes betrifft — die Feuertest- Bedingungen der Wiener Atomkontrollbehörde übertreffen.“ Nach den Auflagen der IAEA müssen die Stahlcontainer, die das Plutonium beinhalten, einem Feuer mit Temperaturen bis 1.472 Grad Fahrenheit (800 Grad Celsius) dreißig Minuten lang standhalten. Doch schon die amerikanische Küstenwache geht davon aus, daß Schiffsbrände „leicht 2.000 Grad Fahrenheit erreichen“.

Ebenso unerforscht ist das Szenario eines Schiffsbruchs, bei dem das Plutonium im Meer versinkt. Nach der bislang maßgeblichen Untersuchung des Battelle-Instituts in Richmond (Bundesstaat Washington) aus dem Jahr 1977 halten die für den Plutoniumtransport benutzten Stahlcontainer dem Wasserdruck nur bis in ca. 3.600 Meter Tiefe stand. Lediglich ein Testversuch zu Jahresbeginn in Japan setzte die Plutoniumfässer dem Wasserdruck in 10.000 Meter Meerestiefe aus. Zwar hielt der Stahlcontainer stand, doch dauerte der Test nur zwanzig Minuten. Auf über der Hälfte der Wasserstrecke zwischen Europa und Japan ist das Meer tiefer als 3.600 Meter.

Vor 500 Jahren lenkte eine günstige Brise Christoph Columbus nach Amerika. Doch die Frage, warum Menschen immer wieder dazu tendieren, ihr Schicksal Wind und Meer zu überlassen, blieb bis auf den heutigen Tag unbeantwortet. Jetzt stellt sie sich von neuem.

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