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Ideenfäden, Angelschnüre

VI. Symposium der „International Association of Woman Philosophers“ in Amsterdam  ■ Von Anja Overdiek

Für eine politisch originelle und philosophisch unverkrampfte Herangehensweise an die Idee der europäischen Aufklärung sind die NiederländerInnen bekannt. Die Wahl von Amsterdam zum Gravitationszentrum feministischer Philosophie — nach Heidelberg 1984, Klagenfurt 1986 und Berlin 1989 — war deshalb ein gelungener symbolischer Vorgriff auf das, was rund 200 Philosophinnen in den vier Tagen vom 22. bis zum 24.April denkerisch in Bewegung setzen sollten. Weit weg von der malerischen Verkommenheit der Grachten hatten sie sich im nüchternen Beton der Vrijen Universiteit vorgenommen, gemeinsam die Möglichkeiten und Hindernisse einer „Zukunft ohne Diskriminierung“ (so das wohlweislich mit Fragezeichen versehene Motto) zu sichten.

Erstmalig waren auch Wissenschaftlerinnen aus (ehemals) Jugoslawien, der Tschechoslowakei, Ägypten und Tunesien gekommen, um ihren Positionen im westlich dominierten philosophischen Diskurs eine Stimme zu verleihen. Positionen, die im „mainstream“ von Philosophie und Politik in Bildern von Oppositionen gedacht werden: Opposition zwischen „entwickelten“ und „unterentwickelten“ Ländern, zwischen parlamentarischen Demokratien und östlichen Resttotalitarismen beziehungsweise südlichen Fundamentalismen. Solche Oppositionen zu überdenken wurde diesmal zu einem Leitmotiv der unterschiedlichen weiblichen Ausbruchsversuche aus der etablierten Repräsentation von Frauen im institutionalisierten Philosophieren.

Die nahezu 60 Vorträge in drei Sektionen waren dreifach untergliedert: Konzepte für Menschenrechte der Frau, feministische Dekonstruktion, Überlegungen zu moralischen und politischen Problemen der Biotechnologie. Das Überdenken und Überschreiten von Oppositionen (nicht nur) in der etablierten, patriarchalen Philosophie war gemeinsames methodisches Leitmotiv des Symposiums.

Eindrucksvoll war der respektlose Umgang mit oppositionellen „Denkschulen“ — den heiligen Kühen der westlichen Frauenbewegung, den (nicht minder heiligen) Ochsen moderner und postmoderner Philosophie. Die Frankfurter Philosophin Dr. Käthe Trettin forderte ein Eindringen feministischer Kritik in die Systeme formaler Logik — und damit eine Überwindung von Beschwörungsformeln des Weiblichen als grundsätzlich logisch Fremdem. Nur durch immanente Analysen logischer Symbolisierungen könnten Frauen denkend Einfluß nehmen auf die Setzungen moderner Technikphilosophie — und damit auf wichtige Felder wie die Künstliche-Intelligenz-Forschung. Die feministische Analysekategorie des „Gender“ sei hier allerdings unbrauchbar, da in den neutralistischen Zeichensystemen der Logik nicht auf soziale Zusammenhänge rekuriert werden kann. Nur das mißtrauische Hinterfragen des „Wozu“ beziehungsweise „Wohin“ der logischen Evidenz könne Frauen zu neuen Erkenntnissen führen.

Das Überdenken der zweiten Opposition — des im patriarchalen philosophischen Diskurs festgefahrenen Gegensatzes zwischen sogenannter moderner und postmoderner Theorie — führten die Kanadierin Dr.Somer Brodribb und die Australierin Dr.Rosi Braidotti vor: Anti- Postmodernism meets Post-Postmodernism. Anhand der Ausstellung Les Immatériaux in Paris 1985, die Jaques Lyotard betreut hatte, stellte Brodribb einen faßbaren Zusammenhang zwischen der postmodernen Faszination für das „Nichtkörperliche“ und der neueren Entwicklung in der Gentechnologie her: Hatten die AusstellungsbesucherInnen einmal das Symbol der „Göttin“ (Mutter, Materie) hinter sich gelassen, betraten sie ein technisches Theater der „Nicht-Landschaft“. Die gentechnologische Botschaft des „You can escape your material destiny with technique“ schließt sich nach Brodribb diesem Bedeutungszusammenhang unmittelbar an, frißt das Subjekt wie die Möglichkeit von Gemeinschaft. Das dematerialisierte Wissen poststrukturalistischer Denker wie Lyotard, Derrida und Baudrillard sei eine narzißtische Melancholie männlicher Subjekte angesichts des Scheiterns der Aufklärung, eine dionysische Flucht vor rationalen Entwürfen in die Dunkelheit, die mitzumachen den Frauen keinen besseren Status verspreche als dem, der ihnen im Licht der Aufklärung angewiesen wurde.

Keinen Fluchtweg, sondern den Notausgang aus den phallozentrischen Diskursen moderner Philosophie suchte Kollegin Braidotti, promoviert an der Pariser Sorbonne und Schülerin von Deleuze und Irigaray, bei den PoststrukturalistInnen. Doch auch ihr Weg führt sie über die Setzungen der Theorie hinaus. Sie erkennt die Unterdrückung der Frau im neuen Gewand: in der „inflationären Überbetonung des Weiblichen als symbolischer Struktur zuungunsten von lebendigen Frauen und ihrer Erfahrung“. Anders als ihre LehrerInnen entwirft sie ein neues episthemologisches Subjekt, das „Female Feminist Subject“, das Halt in Erfahrung, Körperlichkeit und sexueller Differenz findet. Außer dessen prädiskursiver Denkleidenschaft enthüllt Braidotti allerdings wenig von dieser partikularen Identität.

Bei drei Vorträgen in 90 Minuten wurden in diesen Tagen Ideenfäden wie Angelschnüre ausgeworfen. Diese Fäden zu einem Muster zu verstricken, blieb in der anschließenden Diskussion selten Zeit.

Universalismus versus Relativismus heißt eine weitere Opposition, die feministisches Denken zum Wanken bringen will. Ein „gesellschaftskritisch reflektierter pluraler Universalismus“ (Andrea Maihofer), eine Integration von universellen moralischen Werten und dem Respekt vor der Differenz (Nagl-Docekal, Wien), eine Form des Relativismus, welche die örtliche Einbindung jeder Wissensposition mitreflektiert (Lorraine Code, Canada) soll den Gegensatz überwinden, denn, so Code, „good may be dead and universalism too, but there is still not everything permitted“. Daß die Auseinandersetzungen mit Ethik immer Rückbezug hielten zur Politik und Philosphie mit ihren gesellschaftlichen Effekten gedacht wurde, ist von Feministinnen nicht anders zu erwarten. Diese Transzendierung der institutionell etablierten Opposition zwischen Philosophie und Politik ist ein „alter Hut“, der hier allerdings auf bemerkenswerte Art entstaubt wurde. Auf einem „Forum on Womens Human Rights“ gegen Ende des Symposiums gaben sich zwölf Philosophinnen aus sieben Ländern die Mühe, aus unterschiedlichen weiblichen Unrechts-Erfahrungen in den einzelnen Ländern einen gemeinsamen Grundrechtekatalog für Frauen zu destillieren.

Gleiche Menschenrechte für Frauen: ja, aber nur bei Aufgabe der Blindheit des Abstrakten. Allein mit der Thematisierung konkreter Verletzungen der Menschlichkeit von Frauen durch Polygamie, Zwangsheirat, Pornographie, Prostitution und Sextourismus und durch gleiche Beteiligung von Frauen an politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen können formale Rechte konkret eingelöst werden. Doch welche Macht zur Durchsetzung eines solchen Grundrechtekatalogs für Frauen haben Philosophinnen — jenseits von Petitionen an männlich dominierte Institutionen?

Über die Vermittlung zwischen Philosophin und Frauenbewegung, das Verhältnis der beiden zueinander, war auf diesem Symposion wenig zu hören. Die beeindruckende Dynamik feministischer Theorie in Amsterdam täuschte leicht über den Einzelkämpferinnenstatus der meisten dieser Wissenschaftlerinnen in ihrer jeweiligen Institution, ihrem jeweiligen Land hinweg. Vielleicht wird sich dieses Thema für das nächste Symposium in drei Jahren von selbst stellen.

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