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„Das ist keine Ethik und nichts!“

■ Widerstand gegen die Entwortung der NDR-Hamburg-Welle

Mein Intendant!

Sie wissen ja, wie das ist — da will man seinem Intendanten schreiben, und wälzt und wälzt die Benimmbücher, und was findet man?

Nichts.

Ich bin jetzt zwar bestens darüber informiert, wie Politiker (Hochgeehrter Herr Bundespräsident) oder kirchliche Würdenträger (Eure Exzellenz, hochwürdigster Herr Erzbischof) anzureden sind, aber für Sie fand ich einfach nicht das Passende, und deshalb habe ich mich für das Schlichte entschieden. Spätestens an dieser Stelle hätte mein ehemaliger Deutschlehrer an den Rand geschrieben: Wann kommen Sie zum Thema?

Ja, das Thema.

Das Thema ist natürlich die Hamburg-Welle. Aber zunächst sollte ich mich Ihnen vorstellen, damit Ihr erster Eindruck (eine Irre) ein wenig verwischt wird: Ich bin 50 Jahre alt, Vollwaise und evangelisch; einerseits weder in Trevira-Hosenanzüge gekleidet (wenn Ihnen das was sagt), noch andererseits in irgendeiner erwähnenswerten Weise 1968 dabeigewesen.

Entspreche ich damit in etwa der tpyischen Hörerin, die Ihnen so vorschwebt?

Dabei fällt mir ein, daß Sie sich als ganz oberer Chef eventuell gar nicht angesprochen fühlen — aber dann leiten Sie diesen Brief doch einfach weiter an die entsprechenden Herren. Ihre Sekretärin wird Ihnen die Namen sicher gern heraussuchen.

Also, die Hamburg-Welle.

Hör' ich gern. Schon lange. Die ModeratorInnen sind nicht so betulich (mit Ausnahmen, aber das macht nix, ich seh' das nicht so eng), aber auch nicht so hastig wie anderswo (Hallo Mädels, hier ist wieder euer alter Kumpel Charlie am Mikro) und dennoch mit Biß — oft. Und deshalb ertrage ich auch gerade noch diese Musik zwischendurch. Die, die keinem wehtut. Sie wissen ja, nichts schlägt so auf die allgemeine Lebensfreude, Heiterkeit und so weiter wie schmerzfreie Musik: Man freut sich nicht, man regt sich nicht auf, und derweil kalken die Arterien so leise vor sich hin.

Das geht Ihnen doch bestimmt genauso! Und, Hand aufs Herz: Sie hören sich solchen Scheiß doch auch nicht freiwillig an!

Und da geht's dann los, daß ich irgend was irgendwie nicht richtig auf die Reihe kriege...

Sie sind doch ein Mann von Welt— Hochschulstudium, nehme ich an, gepflegte Gespräche beim Italiener, Horaz im Urtext, Hausmusik vielleicht, ein geschmackvolles Heim und alles.

So was muß doch weitergegeben werden! Da kann man sich doch nicht hinstellen und den Leuten was hinschmeißen, was man selber gar nicht mögen tut! Das ist doch keine Ethik und nichts!

Ich muß Ihnen mitteilen, daß ich meine Einkäufe in der PRO mache und viel mit S- und U-Bahn unterwegs bin. Und auch mal einen Schnack mit den Punks von nebenan halte. Daran liegt es wohl, daß man mich mit Statistiken und Umfragen an die Füße fassen kann — die Leute sind nämlich nicht so blöde, wie unsere Schulweisheit es sich träumen läßt. Und: Historisch gesehen, schlägt eine Fehleinschätzung der allgemeinen Lage irgendwann ganz gräßlich zurück.

Wem sage ich das — das wissen Sie natürlich auch. Und Sie werden es in Ihrer Lebensbeichte nach der Pensionierung ganz sicher in fabelhaft eloquenter Form darstellen (da wären Sie nicht der erste). Dann, wenn Ihnen nichts mehr passieren kann. Aber, Tschulligung, was kann Ihnen denn heute passieren? Na?

Sagen Sie nicht, daß Sie Ihre berufliche Laufbahn mit dem Gefühl „Egal wie, aber ich habe 15 Prozent geschafft“ abschließen wollen.

Das können Sie mir nicht erzählen! Das wäre ja so was von unter Niveau, das nehme ich Ihnen nicht ab! Aber, wo ich gerade bei Niveau bin— was soll eigentlich diese Schnapsidee, die ModeratorInnen aus der Sendung zu nehmen, bloß weil sie den Anrufern nicht genug auf die Backen gebeben haben (mal ganz abgesehen von den „arbeitsrechtlichen Konsequenzen“, das ist ja Hühnerkram)? Da wird man ja sauer! Da ruft doch bald keiner mehr an! Da hat man ja Angst, im Rundfunk eins übergebraten zu kriegen, während die ganze Familie und die Kollegen zuhören! Na, nix für ungut. Nur ganz wenige Stellen in diesem Brief sind persönlich gemeint. Schließlich kenne ich Sie ja gar nicht. Und wenn der Pöbel mit Modder schmeißt, dann lernen Sie sicher in Kursen, wie man das als hoher Amtsträger gelassen überlebt.

Soo gerne habe ich dies auch nicht getippt, mein Ischias, wissen Sie. Aber, wie die Hamburgerin sagt: Nützt ja nix. Und: Wat mutt, dat mutt.

Mit besten GrüßenIngeborg Glock

Programm-„Reform“ bedeutet auch beim NDR, der immerhin zweitgrößten ARD-Anstalt, stets eine Annäherung an die Radio-Rezepte der großen und kleinen Dudelfunker. Diesmal hat es die lokale NDR-Hamburg-Welle auf NDR 1 erwischt. Seit Montag hat sie eine neue Struktur, die Programm-Verantwortlichen schleifen die letzten Wort-Ecken. Bereits im März war es hausintern zum Knall gekommen, denn 27 Mitarbeiter der Hamburg-Welle wollten die Entschlackungskur nicht mittragen, wehrten sich auch mit einer Unterschriftensammlung. Die Sender-Oberen reagierten mit Disziplinar-Maßnahmen und forderten die Rücknahme der Unterschriften — unter Androhung von Konsequenzen besonders für freie Mitarbeiter. Zwei Redakteure, die während einer Telefonsprechstunde kritische Hörerstimmen über den Sender ließen, wurden von der weiteren Moderation entbunden, HörerInnen begannen sich in einer Initiative namens „HörerInnenkreis Hamburg-Welle bleibt“ zu organisieren und schrieben Briefe an die Verantwortlichen und traten mit ihrem Anliegen an die Öffentlichkeit. Wolfgang Bombosch, Leiter der Hamburg-Welle, bekam nach Erfüllung des Zehn-Jahres-Vertrags nur noch ein Jahr Verlängerung. Den engagierten Protest der HörerInnen belegt ein im folgenden dokumentiertes Schreiben, das jüngst an den SPD-nahen NDR-Intendanten Dr. Jobst Plog ging. Die Schreiberin ist Ingeborg Glock, die einstmals auch für die GAL im Hamburger Parlament saß. n.d.r.

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