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Japan — weltgrößter Plutoniumbrüter

In Tokio träumen Politiker und Atom-Industrielle noch von Schnellen Brütern und Wiederaufarbeitung  ■ Von M. Schneider und G. Blume

Japan ist für Professor Paul Leventhal, den Präsidenten des US-amerikanischen Nuclear Control Institute, „der unumstrittene Hauptakteur im angehenden Plutoniumdrama“. Was den international renommierten Atomkritiker dazu veranlaßt, ausgerechnet den fernöstlichen Wirtschaftsgiganten ins Zentrum seiner Anfechtungen zu rücken, erklärt Leventhal mit einem Satz: „Nur Japan könnte den heute scheinbar unabwendbaren Trend zu einer globalen Plutoniumwirtschaft noch in den Anfängen stoppen.“

Tatsächlich betreibt Japan heute das umfangreichste zivile Atomprogramm der Welt. Trotz besonderer Risiken, wie etwa der großen Erdbebengefahr, befinden sich zu den 42 laufenden Reaktoren weitere zehn im Bau. Noch mehr als dreißig neue Atomkraftwerke sind bis ins Jahr 2010 geplant. Vor allem aber ist Japan das derzeit einzige Land, das am vollen Ausbau der Plutoniumindustrie mit Wiederaufarbeitung und Schnellem Brüter rigoros festhält. Weshalb auch die europäischen Wiederaufarbeitungsanlagen im englischen Sellafield und im französischen La Hague nur aufgrund japanischer Aufträge ihren Betrieb aufrechterhalten können. „Aus den achtziger Jahren“, stellte das New Yorker 'Wall Street Journal‘ fest, „ist Japan als Weltmotor der Atomenergie hervorgegangen.“

Die japanische Beständigkeit in der Atompolitik erklärt sich aus einem einzigen Motiv: In der Plutoniumindustrie sehen Japans Politiker weiterhin den einzigen Ausweg aus der Energieabhängigkeit von anderen Ländern. In den jährlich erscheinenden Berichten der japanischen Atombehörde herrscht noch immer der in den Ölkrisen der siebziger Jahre geborene Gedanke vor, mit dem Schnellen Brüter eine von Rohstoffen aller Art unabhängige Energieversorgung aufzubauen. Denn theoretisch produziert der Schnelle Brüter mehr Plutonium, als er verbraucht.

Tetsuo Hineno heißt der oberste Vollstrecker im japanischen Atomstaat. Früher Ingenieur, ist er heute Chefmanager im Nuclear Energy Systems Headquarters von Mitsubishi Heavy Industries, der Firma, die in Japan fast alle Atomkraftwerke baut. „Wir denken heute bereits an die Zeit nach dem Uran“, erläutert der Atommanager seine Pläne. „Deshalb ist auch der Schnelle Brüter weiterhin notwendig. Unser Hauptziel bleibt, den vollständigen Brennstoffkreislauf aufzubauen.“ Damit trotzt Japan der Welt, und Tetsuo Hineno weiß das. Kein anderes Land auf Erden träumt heute mehr von Wiederaufarbeitungsanlagen und Plutoniumreaktoren. Unwirtschaftlichkeit, sicherheitstechnische Probleme und reichliche Uranvorkommen haben der Plutoniumwirtschaft westlicher Staaten in den achtziger Jahren das Genick gebrochen. Doch Tetsuo Hineno läßt sich nicht beirren: „In anderen Ländern hat man zu schnell zu viele Atomkraftwerke gebaut“, kommentiert der Mitsubishi-Manager den Einbruch seiner Branche in Europa und den Vereinigten Staaten. „Wir in Japan aber haben langsam gebaut, langsam und immer weiter.“

Was Atomchef Hineno nicht wahrhaben will: Auch in Tokio zweifeln die Verantwortlichen zunehmend an Sinn und Zweck des japanischen Alleingangs in Sachen Plutonium. Takao Ishiwatari, Vorsitzender der Japanischen Kernbrennstoff- Entwicklungsgesellschaft (JNFDC), verblüffte am Ostermontag die internationale Atomgemeinde, als er aussprach, was vor ihm unter seinesgleichen in Japan niemand auszusprechen wagte: „Heute gibt es auf der Welt reichlich Plutonium“, befand Ishiwatari, „und deshalb stehen wir vor keiner dringenden Notwendigkeit, Plutonium zu brüten.“ Da die JNFDC unter sich alle japanischen Plutoniumprojekte vereinigt, löste der Kommentar ihres Vorsitzenden heftige Reaktionen aus. Kurz darauf mußte Ishiwatari dementieren, daß er das Gesamtprogramm der Regierung nicht in Frage stellen wolle.

Dennoch könnte auch Tokio auf dem Weg ins Plutoniumzeitalter schlappmachen. Denn tatsächlich wissen Nippons Atommanager nicht wohin mit dem Supergift. Seit den siebziger Jahren läßt Tokio in den Anlagen von La Hague und Sellafield das waffentaugliche Plutonium von dem in Japan abgebrannten Atombrennstoff trennen. Ab 1998 soll dann Japans erste industrielle Wiederaufarbeitungsanlage, deren Baubeginn für den Herbst geplant ist, die Plutoniumproduktion für japanische Zwecke übernehmen.

Wohin mit dem überschüssigen Plutonium?

Allerdings ist die anschließende Verwendung des waffentauglichen Spaltmaterials nirgendwo sichergestellt. Denn Schnelle Brüter funktionieren bislang nur zu Forschungszwecken, und auch andere Brennverfahren verbrauchen nur verschwindend geringe Mengen an Plutonium. Die Folgen sind deshalb längst absehbar: „Im Jahr 2020 wird der Plutoniumvorrat so groß sein“, warnt Japans bekanntester Atomkritiker Jinzaburo Takagi, der das Tokioter Atominformationszentrum leitet, „daß er die Gesamtmenge des militärischen Plutoniums übertrifft, welche die Supermächte jemals für Waffen produziert haben.“

Die Regierung weist dieses Überschuß-Szenario bislang noch zurück. Japan hält seit Beginn seiner Atomprogramme in den fünfziger Jahren an der Maxime fest, daß die „Nation über kein Plutonium verfügen wird, das die nötige Menge für den Betrieb des Brennstoffkreislauf übersteigt“. Weil aber nun das in Europa aufgearbeitete Plutonium gleich tonnenweise nach Japan zurücktransportiert werden soll und absehbar ist, daß es dort keine schnelle Verwertung findet, gerät die Regierung bereits heute unter internationalen Rechtfertigungsdruck. Zum ersten Mal seit Hiroshima und Nagasaki verdächtigen andere asiatische Staaten Japan, heimlich zur Atommacht aufzurüsten.

„Es wäre zum Vorteil Japans“, teilte der Vizedirektor der Wiener Atombehörde (IAEO), William Dircks, Mitte April einer Versammlung japanischer Atommanager mit, „wenn man dieses Plutonium in eine internationale Obhut gäbe, die Nachbarstaaten größere Sicherheit einräumen würde.“

Schon hat die Kritik am japanischen Plutoniumprogramm sogar die ärgsten Feinde Ostasiens, nämlich die beiden Koreas, in gemeinsame Frontstellung gebracht. Detailliert beschreibt das neue südkoreanische Verteidigungsweißbuch die japanischen Pläne für eine Wiederaufarbeitungsanlage. Dabei sorgt sich der Regierungsbericht ausdrücklich um die „bedeutende Herstellungskapazität von waffentauglichem Plutonium“ in Japan. Der diktatorische Norden erkennt die gleiche Gefahr: „Es ist absurd“, behauptet der nordkoreanische Regierungschef Yon Hyong Muk, „einen Wirbel um die mögliche nukleare Bedrohung durch Nordkorea zu machen, ohne dabei eine eventuelle nukleare Bedrohung durch Japan zu erwägen.“ Wie um diese Worten zu belegen, gab Nordkorea Anfang Mai erstmals bekannt, im Besitz von Plutonium zu sein.

Genau diese Reaktion hatte Professor Paul Leventhal in Washington erwartet: „Der Gebrauch und die Anhäufung von Plutonium in Japan“, prophezeite der amerikanische Atomkritiker vergangenes Jahr, „könnte sehr gut einen gefährlichen Präzedenzfall für rivalisierende Industrieländer wie die beiden Koreas oder Taiwan setzen.“ Doch die Regierung in Washington, die nach wie vor maßgeblichen Einfluß auf sicherheitsrelevante Fragen der japanischen Politik behält, hegt bislang keine Einwände gegen das Tokioter Plutoniumgeschäft.

Wenig Kritik am Atomprogramm

Erstaunlich ist dennoch, wie wenig in Japan über die Risiken der Plutoniumwirtschaft öffentlich diskutiert wird. Die Regierung ist verständlicherweise bemüht, jede Aussprache über das heikle Thema zu vermeiden. In der sozialdemokratischen Partei haben die Atombefürworter vor einem Jahr die Oberhand gewonnen. Seither vermeidet die größte Oppositionspartei jegliche Regierungskritik in Atomfragen. Zwar hatte die Anti-Atomkraft-Bewegung bis 1991 1,3 Millionen Unterschriften gegen das im Bau befindliche Atomzentrum mit Wiederaufarbeitungsanlage und Atommüllager auf der Shimokita-Halbinsel in Nordjapan gesammelt. Doch inzwischen hat sich der Proteststurm gelegt. Die entscheidene Regionalwahl in der Aomori-Präfektur gewannen die Befürworter des Atomzentrums.

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