piwik no script img

Wer die Wahl hat...

■ Die Plakatwerbung der Parteien quält die Wähler

Am 24. Mai ist es wieder einmal soweit. Die wahlberechtigten BürgerInnen werden aufgefordert, ein kleines Kreuz in ein kleines Kästchen zu malen. Die Wahlen zur Auffüllung der Bezirksparlamente von Berlin mit ParlamentarierInnen stellt die Parteien vor eine knifflige Aufgabe: Wie werbe ich um die Gunst der WählerInnen, ohne sie merken zu lassen, daß ich über kein überzeugendes Programm verfüge?

Ein Spaziergang durch die Neuköllner Plakatlandschaft zeigt, wie phantasievoll die Parteien zu Werke gehen. »Wir für Neukölln«, wirbt die CDU knapp und bündig. Nun kann jeder Wähler mit diesen Versatzstücken sein eigenes Programm aufstellen. »Wir für schöner wohnen«, denkt der Obdachlose, und »Wir für Arbeitsplätze« derjenige, dem gerade gekündigt wurde. »Wir für besser und mehr richtiger deutsch schreiben!« mag der Lehrer fordern, aber das steht nun wirklich in der Problemskala der CDU ganz weit unten und hat kaum Chancen auf Verwirklichung. Die SPD setzt voll auf die Verblödung der WählerInnen und wird bei vielen, wie sich am 24. Mai zeigen wird, ihr Ziel erreichen. »Berlin — kein Platz für Miethaie!« ist in schlagzeilendeutsch zwar hinnehmbar, dennoch so nicht ganz richtig. »Berlin (ist) kein Platz für Miethaie, wenn...«. Nun wird es schwierig. Der Wähler ist wieder zum Mitdenken aufgefordert. Wenn die SPD nicht gewählt wird, bleibt Berlin ein Platz für Miethaie. Wenn die SPD gewählt wird, bleibt Berlin erst recht ein Platz für Miethaie, schließlich fühlen sie sich unter der Sozi-Obhut seit Jahren sauwohl. Ehrlichkeit hätte der SPD gut gestanden, ein Plakat mit dem Konterfei der SPD-Riege, kniend, die Hände dem Wähler um Vergebung bittend entgegengestreckt, darunter der knallige Slogan: »Sorry, wir haben Scheiße gebaut!« Das wäre redlich, glaubwürdig und brächte der SPD viel Sympathie ein.

Die PDS schwebt frei und unbedrängt über jeglichen Politikinhalten und fordert in 'Titanic‘-Manier das »aktive und passive Wahlrecht für jeden Menschen«. Soso. Für jeden Menschen. Offenbar hofft die PDS nur noch auf Stimmen der Drei- bis Sechsjährigen, aber dann sollten sie auch konsequent sein: »Schokoriegel für alle!« könnte auf den Plakaten stehen, oder »Immer doller fahr'n wir Roller!«, Gregor Gysi vorneweg mit Shorts und Schlabberlatz. Die Alternative Liste ist ebenfalls auf dem Kindertrip. Gabi und Klaus fassungslos... steht auf einem Plakat, das zwei Yuppies aus Charlottenburg oder vom Paul-Lincke-Ufer in ökofreundlichen Wasserfarben weich und echt easy-drauf gezeichnet zeigt. »Schon wieder mehr Miete!« stöhnt Gabi. »Die spinnen wohl komplett«, denkt Klaus. Nein, ihr Lieben, die spinnen nicht, die Immobilienfritzen, die machen eine knallharte Politik, die sahnen ab, die machen Kasse. Die AL macht auf Soft-Oper — Klaus und Gabi werden wohl zahlen müssen. Werner

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen