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Bäume sind wichtig

Über Hal Hartleys „Simple Men“ (Wettbewerb)  ■ Aus Cannes Thierry Chervel

Jeder Dialog kann komisch sein, wenn er nur mit dem gehörigen Ernst vorgebracht wird — zum Beispiel: (Bill) „Bäume sind wichtig“, (Kate) „Sie schützen die Ozonschicht“, (Bill) „Genau, die Ozonschicht“. Bill, der Bankräuber und Versicherungsbetrüger, interessiert sich nicht für Bäume — er interessiert sich für Kate. Und Kate interessiert sich für Bäume.

Bill und sein jüngerer Bruder Dennis, ein Philosophiestudent, sind auf der Suche nach ihrem Vater, einem legendären Baseballspieler und linksradikalen Aktivisten, der 1968 eine Bombe vors Pentagon gelegt haben soll und nun aus dem Gefängnis ausgebrochen ist.

Bei Kate, die ein kleines Hotel an der Küste von Long Island betreibt, und ihrer rumänischen Freundin Elina bleiben sie hängen. Aber genau hier sind sie auch richtig, wie sich später noch herausstellen wird. Leicht ödipal, die Grundstruktur.

Höhepunkt dieses wie gesagt insgesamt tiefernst zelebrierten Films ist ein kleines Ballett. Jemand hat ein lautes Stück Rockmusik aufgelegt. Elina fängt an zu tanzen, mit verschlossener Miene, ballt die Faust, wirft die Arme nach links, nach recht, geht rückwärts, seitwärts, Wiegeschritt. Der an sich linkische Dennis und ein weiterer Hotelgast reihen sich ein. Sie bilden ein Dreieck mit Elina an der Spitze und tanzen synchron. Arm nach links und Arm nach rechts, und seitwärts, rückwärts, Wiegeschritt. Sie absolvieren das Ballett mit so vollkommener Hingabe und Selbstverständlichkeit wie die Chinesen ihre Morgengymnastik. Eine wunderbare Szene.

Aber da ist auch das Problem. Der Film hat etwas Gymnastisches, etwas von einer Trockenübung hochbegabter Filmstudenten. Hal Hartley (Trust), Absolvent der New Yorker Filmhochschule, aus der auch die meisten Techniker und Schauspieler des Films kommen, hat das Werk Buster Keatons und Jean-Luc Godards offensichtlich genau studiert. Von Keaton kommt der Ernst, von Godard die Weise, wie die Figuren in Simple Men mit ihren Rollenklischees brechen — eine Nonne, die raucht und einen Polizisten niederringt, ein Polizist, der druckreif und betrübt vor sich hin philosophiert, während er nebenbei Bill festnimmt, ein Tankstellenwärter, der französische Konversation betreibt und Gitarre spielt wie Jimi Hendrix.

Hal Hartley ist stolz, ein Autorenfilmer im klassischen Sinn des Wortes zu sein. „Alles was ich will“, sagt er im Presseheft, „ist meinen Vorurteilen treu zu bleiben, meinen Ängsten und Hoffnungen. Das ist alles.“ Darum beharrt er auf der Kontrolle über alle Ebenen des Films — Drehbuch, Inszenierung, Schnitt —, durch die allein sich paradoxerweise die Freiheit des Autorenfilms verwirklichen läßt. Nur scheint bei ihm die Kontrolle vor der Freiheit zu kommen. Der Film wirkt wie ausgedacht und dann gemacht: als wäre Hartley unbewußt ins Hollywoodschema zurückgefallen. Es fehlen das Chaos und der Dilettantismus, der Zauber des Moments, der erst beim Drehen entstehen kann und sich in keinem vorher verfaßten Drehbuch fixieren läßt. Nur so wird aus Autor Autorenfilmer.

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