: Klarer Blick auf den Hof
■ oder: Nieder mit den Miethaien
Ich weiß, wie ich meine Nachbarn todsicher zum Lachen bringen kann. Ich muß nur sagen, wieviel Miete ich bezahle. Weil sich nämlich meine Miete, verglichen mit der ihrigen, wie das Bruttosozialprodukt von Belgien anhört. Warum? Na, als Fremder in der Stadt bin ich unweigerlich ein Opfer des Berliner Amtes für Planung, Bau und Schabernack geworden. Wer sonst hätte auf die Idee kommen können, Wohnungen unterm Dach zu bauen, ihnen phantasievolle Namen wie »Dachgeschoß« zu geben und sie den Ausländern anzubieten, zu Preisen, die diese erzittern lassen?
Als unwissender Neuankömmling sehnte ich mich nach etwas Altem, Geräumigem, mit einem Hauch von verblaßter Pracht und einer Miete mit weniger Stellen als meine Telefonnummer zu Hause in Australien. Bald wurde mir jedoch klar, daß ich, um das Langersehnte mein eigen zu nennen, in eine andere Stadt ziehen oder, wie ein optimistischer Berliner vorschlug, mich dem Hausmeister eines Gebäudes meiner Wahl anfreunden müßte. Haben Sie schon einmal versucht, sich mit einem Berliner Hausmeister anzufreunden? Mit Haifischen freundschaftliche Bande zu knüpfen wäre dagegen ein Kinderspiel.
Schnell begriff ich, daß man hier auf wirksamere Mittel zurückgreifen müßte — schamlose Bestechung des Hauswartes, oder man befestigt sich selbst mittels meterweise Klebeband an die Eingangstür des Gebäudes, um Mitleid zu erregen, oder, wenn die Verzweiflung gar zu groß wird, verhext man die Person, deren Wohnung man begehrt, mit Hilfe einer lebensgroßen Voodoo-Puppe. Ach ja, und dann gibt es ja noch die Mitwohnzentrale.
Das ist ein Service, der dem einsamen Ausländer dazu verhilft, einen Einblick in das wirkliche Berlin zu bekommen, indem man mit Menschen zusammengeführt wird, die große Schwierigkeiten haben, mit anderen zu leben. Ich nehme fast an, daß eine psychiatrische Vergangenheit Voraussetzung ist, bei der Mitwohnzentrale aufgenommen zu werden.
Von den fünf Mitwohnkandidaten, bei denen ich mich vorstellte, ehe ich aufgab, hatte eine zehn Katzen; zwei litten seelische Qualen aufgrund der Trennung von ihren gewalttätigen, eifersüchtigen Ehemännern; einer war ein fanatischer Anhänger irgendeiner Sekte; und schließlich war da noch der liebenswürdige alte Herr, der immer wieder vergaß, warum ich eigentlich bei ihm war.
Für manche dieser Leute sind wir eine unerschöpfliche Quelle exotischen Reichtums, für andere wiederum scheint sich das Leben größtenteils unterhalb der Gürtellinie abzuspielen, wie ein Bekannter erfahren mußte, dessen Vermieter-Ehepaar ihm ständig Videofilme ihrer eigenen erotischen Abenteuer zuschieben wollte. Und so kommt es wohl, daß alle Ausländer schließlich unters Dach ziehen.
Während das Leben in der Nähe der Ozonschicht einen dazu inspirieren könnte, auf seine Mitberliner herabzuschauen, trägt es doch vielmehr dazu bei, daß man Beine wie die olympischen Eisschnelläufer entwickelt, da Aufzüge eine Mangelware sind. Fünf Stockwerke hoch zu meiner Wohnung plus die gleiche Anzahl von Treppen zu den Wohnungen aller meiner Freunde zu steigen bringt einen an den Rand der Erschöpfung, wie ein Freund einmal, endlich oben angekommen, nach Atem ringend hervorstieß: »In den letzten sechs Monaten in Berlin bin ich mehr Treppen auf- und abgestiegen als in meinem ganzen Leben zuvor.«
Als Ausländer dann schließlich doch eine Wohnung zu bekommen ist ein traumabeladener Vorgang. Beim Ausfindigmachen der Maklerfirma fühlte ich mich in einen Spionageroman versetzt. Ich mußte mit mehr Akten aufwarten als die Stasi, und die Maklerperson entpuppte sich als Dieb in Kostüm und hohen Absätzen. Fünfzehn Prozent der Jahresmiete kassierte sie allein dafür, mir das Privileg meiner Unterschrift zu gewähren.
Und doch kann es für einen Ausländer auch Vorteile im Berliner Immobiliendschungel geben. Wirklich! Die Maklerin eröffnete mir nämlich, daß sie mir die Wohnung eigentlich nur geben würde, weil sie einmal einen tollen australischen Liebhaber hatte. Gott sei Dank für internationalen Sex.
Als ich endlich die Wohnung besichtigen durfte, mußte ich allerdings erschrocken feststellen, daß ein paar lebenswichtige Dinge fehlten. Ich: »Aber wo sind die Badezimmer- und Küchenfliesen?« Makerlin: »Tja, die müssen Sie natürlich selbst besorgen.« Ich: »Und wie steht's mit dem Teppichboden?« Maklerin: »Ha-ha! Selbst ist der Mann!« Ich: »Aber es gibt gar keine Beleuchtung hier!« Maklerin: »Also, ich bitte Sie, Mr. Freeth! Was erwarten Sie denn? Diese Wohnung ist eine einmalige Gelegenheit. Denken Sie nur an die Aussicht — an einem klaren Tag haben Sie einen Blick bis auf die andere Seite vom Hof.«
Selbstverständlich nahm ich die Wohnung. Aber wenn Sie eines Tages auf der Straße ein ausländisches Augenpaar anstarrt, brauchen Sie nicht aufzuschauen. Das werde nur ich sein, in Gedanken versunken, mir den Kopf zerbrechend, wie ich denn meine Miete aufbringen soll oder wie ich mir endlich das Treppensteigen ersparen kann. Stephen Freeth
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