: Der lange Atem des Nationalismus
■ Von der Welle bewaffneter Gruppen, die Anfang der siebziger Jahre entstanden, sind nur die nationalistischen übriggeblieben
Frühjahrsoffensive der „Kurdischen Arbeiterpartei“ (PKK) in der Türkei und Erklärung zumindest eines Teils der deutschen RAF, vorerst auf bewaffnete Aktionen verzichten zu wollen: An diesen beiden Realitäten zeigt sich schlaglichtartig eine Entwicklung, die Ende der sechziger Jahre ihren Anfang nahm.
In ganz Westeuropa entstanden in diesen Jahren militante Gruppen, die in der Folge zum bewaffneten Kampf übergehen sollten. Während in der BRD die „Rote Armee Fraktion“ und die „Bewegung 2. Juni“ als Reaktion auf den Vietnamkrieg den Guerrillakampf in den Metropolen propagierten und in Italien „Brigate Rosse“ und „Prima Linea“ zum Angriff auf das Herz des Staates bliesen, formierten sich in Frankreich „Action Directe“ und in Belgien die „Cellules Communistes Combattantes“. Gemein war den Gruppen der Antiimperialismus, ihre Orientierung auf die Dritte Welt, verbunden mit der Hoffnung, durch den bewaffneten Kampf Volksaufstände auslösen zu können. Zur gleichen Zeit bekam eine andere Art von Gruppen Auftrieb: Die IRA in Irland, die ETA im Baskenland, militante Korsen und Sarden, Katalanen und Bretonen, die obwohl selbst nationalistisch ausgerichtet, vom Internationalismus der städtischen europäischen Linken profitierten.
Die siebziger Jahre waren für die linken bewaffneten Gruppen in Europa durch mehrere Faktoren gekennzeichnet. Zum einen mehrten sich die Anschläge, auch auf Führungspersonen der einzelnen Staaten: Generalbundesanwalt Buback, Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto, Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer in der BRD, Aldo Moro in Italien (die Hauptaktionszeit der „Action Directe“ kommt erst Mitte der achtziger Jahre mit dem Mord an General Audran und Renault-Chef Besse). Zum anderen kam es zu einer Zusammenarbeit verschiedener bewaffneter Gruppen, namentlich der RAF und der „Action Directe“. Und zunehmend wurden auch Mitglieder der Gruppen verhaftet. Vor allem in der BRD gewann in der Folge die Freipressung der Gefangenen durch Geiselnahmen eine immer stärkere Eigendynamik.
Neben den „Avantgarde-Gruppen“ wie RAF und „Brigate Rosse“ entstanden lose Grüppchen, die sich an sozialen Bewegungen ausrichteten und ohne hierarchische Organisation Anschläge durchführten, die sich zumeist nur gegen Sachen richteten. Ein Beispiel hierfür sind die „Revolutionären Zellen“ in der BRD, die Anschläge auf Daimler- Benz oder eine Öl-Pipeline durchführten und auch über eine Frauenorganisation, die „Rote Zora“ verfügten.
Die achtziger Jahre waren dann zwar reich an Anschlägen, die in den betroffenen Ländern eine scharfe Terroristenhetze und die Verabschiedung von Sondergesetzen auslöste, dennoch bewegten sich die linken bewaffneten Gruppen rapide auf den Abgrund zu. Verhaftungen, der Tod von Mitgliedern bei Schußwechseln mit den staatlichen Verfolgern, Verrat und die Aussichtslosigkeit, den erhofften Volksaufstand auslösen zu können, ließ viele aussteigen. Es folgte die Zeit der Terroristenprozesse und Kronzeugenregelungen. In der Türkei wurden seit dem Militärputsch 1980 die bewaffneten Kämpfer (stärkste Gruppen: Dev-Sol und Dev-Yol) systematisch ermordet oder eingeknastet.
Die linken bewaffneten Gruppen haben die Waffen gestreckt. Übriggeblieben sind die nationalistischen Gruppierungen, die zwar innere Krisen durchmachen (ETA), aber bislang über genügend Unterstützung verfügen, um der staatlichen Repression zu trotzen. Sie tragen ein linkes Mäntelchen, doch ihre eigentliche Identität liegt im Nationalismus. Antje Bauer (Madrid)
Werner Raith (Rom)
Ralph Sotscheck (Dublin)
und Ömer Erzeren (Istanbul)
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