: Jesusmarsch im Radio
■ Glaubensritter erhielten befristete Sendelizenz
Berlin bekommt einen neuen Sender — zumindest für einen Tag. Am 23.Mai wird das Rauschen auf der Hörfunkfrequenz UKW 105,5MHz kurzfristig unterbrochen. Statt dessen erklingt der Marsch für Jesus. „In Liebe und Einheit vor Gott für unsere Nation“, denn so lautet das Selbstbekenntnis der religiösen Bewegung, die sich an diesem Tag vom Marx-Engels-Platz zum Brandenburger Tor begibt. Freikirchler, Charismatiker, Fürbitter für Deutschland, Christen aller Couleur beten, singen und tanzen nach dem Marsch des Engländers Graham Kendrick für „Versöhnung, Wiedervereinigung und geistlichen Aufbruch“. Im letzten Jahr beteiligten sich rund 200.000 Christen an einem zentralen Marsch in London und regionalen Parallelveranstaltungen.
Auch in diesem Jahr soll in 50 europäischen Städten marschiert werden. Dem angestaubten Image der Amtskirche setzen sie modernere Technik und zeitgemäßeren Stil entgegen, von Satellitenübertragung bis zu HipHop-Chorälen. Und damit die in Berlin erwarteten 20.000 Jesusmarschierer die Liturgie „wie ein Mann“ synchron einstimmen, wird das Playback auf UKW 105,5 MHz übertragen.
Seit etwas mehr als einem halben Jahr bemühen sich mehr als 20 Bewerber, bislang vergebens, um diese Frequenz. Vor allem die noch verbliebenen Mitarbeiter des in Konkurs gegangenen Alternativsenders „Radio 100“ machten sich Hoffnungen auf den Zuschlag. Doch der Kabelrat zögerte die Entscheidung so lange hinaus, bis die Amtszeit des Gremiums abgelaufen war. Das Nachfolgegremium, der Medienrat Berlin/Brandenburg, muß erst noch von den beiden Länderparlamenten gewählt werden. Auf seiner allerletzten Sitzung jedoch erteilte der Rat im Windschatten der umstrittenen Rias-2-Privatisierung dem religiösen Spektakel die begrenzte Sendelizenz. Die Sendeerlaubnis beschränkte sich nur auf die Übertragung der Liturgie, versichert die Justitiarin der Medienanstalt Berlin/ Brandenburg, Ingeborg Ludwig, die „Veranstaltung von Rundfunk ist ausdrücklich ausgeschlossen“. Die „Lizenz für einen Tag“ wurde auf Grundlage des „Kabelpilotprojektversuchsgesetzes“ [was für ein ungetüm, d. s-in] erteilt, aber auch der seit Mai gültige Rundfunkstaatsvertrag Berlin/Brandenburg sieht die „Erprobung neuer Nutzungsformen“ vor. Neben der Zulassung weiterer Kommerzprogramme könnte sich der Medienrat durch die Einrichtung einer terrestrischen Labor-Frequenz profilieren. Anlässe gäbe es genug: Straßenfeste, Volks-Uni, Konzerte, Kongresse, Jubiläen... mail
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