: Auch mal ein grober Klotz
■ 29. Theatertreffen Berlin: Ein Videofilm über das Theater der DDR
Das Theater des neuen Zeitalters
Ward eröffnet, als auf die Bühne
Des zerstörten Berlin
Der Planwagen der Courage rollte
Bertolt Brecht, 1950
Wie die Geschichte des DDR-Theaters beginnt auch der Videofilm von Dieter Kranz und Eckhardt Lottmann mit jener legendären Brecht- Inszenierung der Mutter Courage aus dem Jahr 1949. Während Helene Weigel noch einmal ihren »stummen Schrei« ausstößt, erzählt eine sonore Stimme aus dem Off von der Stunde Null. Dann geht es mit schnellen Schritten durch die kulturelle DDR- Geschichte. Wer im Theater des Deutschen Arbeiter- und Bauernstaates eine führende (Regie)Rolle gespielt hat, darf Stichworte liefern. Thomas Langhoff erinnert an die »antifaschistische Tradition« in der ja schon sein Vater stand. Bernd K. Tragelehn verweist auf Brecht und seinen »Stapel Exil-Stücke«. Dieter Görne erkennt die starke Wirkung des Ensemble-Theaters, Klaus-Dieter Kirst betont die Monopolstellung in Sachen Systemauseinandersetzung: Ein ausgeklügeltes System künstlerischer Zeichen und Interpretationsweisen habe »zu einem großen Verständigtsein zwischen oben und unten« geführt. Aber Christoph Schroth, dessen Faust-Inszenierung kurz zu sehen ist, muß zugeben, daß »wir mit einem groben Keil auf einen groben Klotz gehauen« haben.
Spiegel des Zeitalters ist ein brauchbarer Einstieg in 40 Jahre DDR-Theater, der vermittelt, wie es zu der explizit politischen Rolle des Theaters kam — kommen mußte — und plausibel macht, warum sich die Ost-Theater jetzt wieder am Nullpunkt neu orientieren müssen. Leider viel zu kurze Film-Ausschnitte erinnern an Inszenierungen, die Geschichte (und Furore) machten: Tschechows Drei Schwestern in der Inszenierung von Thomas Langhoff und später sein Sommernachtstraum. Benno Bessons Der Drache, die Märchenkomödie, die als Stalinkritik verstanden wurde, Christoph Heins Ritter der Tafelrunde in der Inszenierung von Klaus Dieter Kirst — das Bildnis des SED-Partei-Büros, Heiner Müllers Lohndrücker.
Das Theater der DDR wurde in die Rolle des Gewissens der Nation gedrängt. Und wer nach dem Mauerbau geblieben war, nahm sie gerne an. Auch der historische 4. November 1989, als auf einer von Theaterleuten organisierten Versammlung 600.000 Demonstranten ihren Verdruß bekundeten, lebt noch einmal auf. Das Schlußwort fällt Heiner Müller und seinem Projekt Hamlet/ Hamletmaschine zu, so wie die Inszenierung 1989 zum »theatralischen Nekrolog« auf den verendeten SED- Staat geriet. Der Rest ist Schweigen? Wie sagt Thomas Langhoff, inzwischen Intendant des Deutschen Theaters: »So lange wir Theater machen, werden sich die Spuren mittransportieren. Und da bin ich froh drum!« Klaudia Brunst
Uraufführung von Spiegel des Zeitalters heute um 17.30 Uhr im Foyer des Deutschen Theaters
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