: EG übt „Neue Weltpartnerschaft“
■ Aus Straßburg Dorothea Hahn
Madame Isabelle Bassong wirft einen Blick auf die gegenüberliegende Seite des runden Konferenztischs. Niemand sitzt auf den Polstersesseln. Ihr Blick geht weiter zu den hinteren Reihen des Sitzungssaals mit der großen Fensterfront. Hinter den Namensschildern stehen leere Stühel. An den Lehnen baumeln Kopfhörer für die Simultanübersetzung. Unauffällig versucht Madame Bassong, die Uhrzeit herauszufinden. Dann lehnt sie sich zurück, um das Gespräch mit ihrem Nachbarn, dem Botschafter Kongos, fortzusetzen.
Seit einer Stunde wartet sie in Saal Nummer fünf des Straßburger Europaparlamentes auf ihre Gastgeber. Die Botschafterin Kameruns ist einer Einladung des Ausschusses für Entwicklung und Zusammenarbeit des Europaparlaments gefolgt. Der Ausschußvorsitzende, der französische Sozialist Saby, hatte sie und die VertreterInnen anderer Staaten der Dritten Welt für Donnerstag zu einem „Kolloquium“ zum Thema „Neue Weltpartnerschaft“ eingeladen. Eineinhalb Stunden hatte Saby angesetzt, um die entwicklungspolitischen Vorstellungen der Abgeordneten zu diskutierten. Doch dann kam „ganz unvorhergesehen“ eine Abstimmung über Agrarpolitik im Europaparlament dazwischen, und die Abgeordneten mußten das Kolloquium abrupt verlassen, noch bevor ihre Gäste ankamen. „Wir kommen sofort zurück“, ließen sie sich entschuldigen.
Bei ihrer Ankunft finden die Gäste mehrere hundert Seiten Material vor. Insgesamt zwölf Berichte haben die Mitglieder der Ausschüsse für Entwicklung und Zusammenarbeit und für Außenwirtschaftsbeziehungen zusammengestellt. Monatelange Arbeit steckt darin. Ein Bericht ist den Auswirkungen des Binnenmarktes auf den Süden gewidmet. Ein anderer befaßt sich mit denen der Öffnung Osteuropas. Weitere mit Nahrungsmittelversorgung, Frauen und Kindern, Strukturanpassungsprogrammen... Das gesammelte Elend der dritten Welt stapelt sich auf dem Tisch neben dem Saaleingang.
Mit einstündiger Verspätung kommen die ParlamentarierInnen zurück. Sie sind nicht einmal halb soviele wie die geladenen Gäste. Die meisten Sessel bleiben leer. „Wir haben wenig Zeit“, mahnt Gastgeber Saby vorsorglich, „die DolmetscherInnen müssen bald gehen“.
Chiles EG-Botschafter ergreift als erster das Wort. Er plädiert für mehr Dreiecksgeschäfte, bei denen die dritte Welt auch aktiv teilnimmt. Der Botschafter Kongos weist darauf hin, daß man nicht alle Länder der dritten Welt in einen Topf werfen kann. Ägyptens Botschafter plädiert für verbindliche Absprachen über Nahrungsmittelhilfe, damit nicht jedes Jahr neu darum gefeilscht werden muß. Kameruns Botschafterin hält den verstärkten Einsatz von einheimischen Nicht-Regierungs-Organisationen für sinnvoll. Als der Marokkaner an die Reihe kommt, sind die DolmetscherInnen schon gegangen. So muß er unübersetzt darauf hinweisen, daß in Großbritannien unschuldige Menschen jahrelang im Gefängnis gehalten werden, ohne daß das Land deswegen gleich wie ein unartiges Kind bestraft werde. Anschließend schlägt Indiens Vertreter vor, die Berichte bei anderer Gelegenheit ausführlich zu beraten.
Nach einer Stunde ist die „Neue Weltpartnerschaft“ vorbei. „Immerhin ist das Thema Nord-Süd zur Sprache gekommen“, sagt Botschafterin Bassong, als ob sie sich davon überzeugen müßte, daß sich die Reise nach Straßburg gelohnt hat.
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