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Schwarze Einheit zerbricht entlang der Klassenlinien

Zwar hatten die USA noch nie soviele Schwarze in öffentlichen Ämtern — dennoch fühlen sich die Schwarzen allein gelassen/ Machtlose Funktionsträger haben nichts zu verteilen/ Dubiose Heilsprediger finden begeisterte Zuhörer  ■ Von Martina Sprengel

Washington (taz) — „Denen sind wir doch egal. Die benutzen uns. Die benutzen uns, um ins Fernsehen zu kommen“, beklagte sich kürzlich unter Tränen Shawonia Hudson, eine junge Schwarze im Ghetto von Los Angeles. Zwei Tage und zwei Nächte lang hatte sie zusehen müssen, wie Häuser in ihrer Nachbarschaft in Flammen aufgingen und Menschen zusammengeschlagen wurden. Für das Mitgefühl und plötzliche Interesse der schwarzen Politiker, die — Fotografen und Kameramänner im Schlepptau — zu Dutzenden in South Central einfielen, hatte die junge Frau nur bitteren Zynismus übrig. „Ich weine, weil erst sowas passieren muß, damit die Leute, die wir gewählt haben, sich um uns kümmern.“

Als sich die Wut und Frustration der Ghetto-Bewohner in Los Angeles 1965 in ähnlich blutiger Form entlud wie zuletzt vor einer Woche, saßen bundesweit weniger als 300 Schwarze in Parlamenten oder Rathäusern. Heute sind es rund 7.000. Die mit diesem Mehr an politischem Einfluß verknüpften Hoffnungen haben sich aber zumindest für die schwarze Unterschicht nicht erfüllt. Ganz im Gegenteil: Die Situation der Ärmsten hat sich in jeder Hinsicht drastisch verschlechtert. Es gibt weniger Arbeit, weniger billigen Wohnraum, dafür aber mehr uneheliche Kinder, mehr Aidskranke und mehr Drogenabhängige. Kein Wunder also, daß einzelne sich selbst von ihren schwarzen Brüdern und Schwestern im Stich gelassen fühlen.

John Lewis, Kongreßabgeordneter aus Atlanta, gibt Shawonia Hudson recht. „Ein Teil der schwarzen Führung ist so sehr damit beschäftigt, irgendwelche Deals abzuschließen, daß er darüber die Leute vergessen hat, die sie gewählt haben.“ Auch schwarze Politiker berücksichtigen wie ihre weißen Kollegen zunehmend die Interessen ihrer zahlungskräftigen Klientel, statt die der Armen aus Watts, die ihnen im Wahlkampf keine Schecks überweisen können. In dem Maße, wie sich in den letzten dreißig Jahren die beruflichen und wirtschaftlichen Möglichkeiten der Schwarzen vermehrt und sich ihre Mittelklasse vergrößert hat, spalten sich auch die Schwarzen in ihren Interessen zunehmend entlang Klassenlinien. Es gibt keinen homogenen Block mehr.

Den schwarzen Volksvertretern sind aber — selbst wenn sie wollten — gegenwärtig die Hände gebunden. Infolge einer langanhaltenden Rezession sind die Finanzen auf allen Regierungsebenen — bundes- und einzelstaatlich sowie kommunal — überstrapaziert, der Handlungsspielraum der Politiker deshalb entsprechend beschränkt. Die Städte haben außerdem nicht nur Verluste aufgrund geringerer Steuereinnahmen bei gleichzeitig gewachsenen Aufgaben (Aids, Drogen) hinnehmen, sie haben darüber hinaus auch auf finanzielle Zuschüsse aus Washington verzichten müssen. greß und Weißen Haus gescheitert. Frustriert über den Stillstand in Washington haben verschiedene, auch schwarze Parlamentarier, sich aus der Politik verabschiedet.

Bleiben als Interessenvertretung der Schwarzen noch Organisationen wie etwa die National Association for the Advancement of Colored People. 1909 gegründet, gilt die NAACP, die in den 50er und 60er Jahren die wesentlichen Bürgerrechtsreformen durchgefochten hat, zwar immer noch als die prominenteste Stimme der Schwarzen in den USA, muß sich aber mittlerweile Kritik gefallen lassen, ihre Führung sei überaltert und ihre Strategie überholt. William Raspberry, Kolumnist der 'Washington Post‘, spricht vielen Schwarzen aus dem Herzen, wenn er neue Prioritäten verlangt. Die NAACP solle sich den drängenderen Problemen der schwarzen Unterschicht zuwenden, statt sich allein auf Fragen der Diskriminierung zu konzentrieren. Die Zeiten, in denen sich die Schwarzen Amerikas hinter einer einzigen charismatischen Figur wie Martin Luther King versammelten, sind vorbei. Reverend Jesse Jackson, der Kings Platz in den 80er Jahren zumindest kurzfristig eingenommen zu haben schien, hat für viele seinen anfänglichen Charme verloren. Sein Versuch, eine breite Koalition zu bilden, die auch weiße Arbeiter und Gewerkschaften erfassen sollte, ist gescheitert.

Heute gibt es viele Kings. Schwarze Bürgermeister und Parlamentarier für die einen, Prediger für die anderen. Risse in dem Bündnis der Schwarzen wurden bereits vor der Ermordung Martin Luther Kings 1968 deutlich. „Black-Power“-Botschaft und Visionen eines schwarzen Nationalismus hatten für viele einen größeren Reiz als Kings Predigten des gewaltlosen Widerstands. Malcolm X und die Black Muslims zogen Scharen begeisterter Zuhörer an, wenn sie die Weißen als blauäugige Teufel verdammten.

Heute stehen Figuren wie Reverend Al Sharpton, Louis Farrakhan, oder Leonard Jeffries vor allem bei Leuten wie Shawonia Hudson, denen die Bürgerrechtsreformen keine spürbare Verbesserung gebracht haben, hoch in der Gunst. Kein Prozeß, der Schlagzeilen macht und in dem Schwarze auf der Anklagebank sitzen, ohne daß Al Sharpton die US- Justiz des Rassismus bezichtigt. Farrakhan, der Kopf der „Nation of Islam“ — einer Splittergruppe der Black Muslims, die sich mit ihrem entschiedenen Auftreten gegenüber Drogendealern in den Ghettos Respekt verschafft hat — verkauft sich als Messias. „Ich bin eure letzte Chance“, predigt er und schlägt mit seinem unverhohlenen Antisemitismus bei vielen Schwarzen genau den richtigen Ton an. „Jesus hatte Ärger mit den Juden. Farrakhan hat Ärger mit den Juden. Jesus wurde von den Juden gehaßt. Farrakhan wird von den Juden gehaßt“.

In Farrakhans Tradition, aber säkularisiert, schart auch Leonard Jeffries seine Jünger um sich. Seine mehrfach öffentlich vorgebrachte Theorie, die Juden hätten den Sklavenhandel kontrolliert und hielten heute Hollywood fest im Griff, hat ihm zwar seinen Job als Chef der Abteilung für afro-amerikanische Studien an der City University in New York gekostet. Für seine Klientel, die ihm auch nur zu gerne abkauft, daß Schwarze wegen ihrer Hautfarbe die guten Sonnenmenschen sind und Weiße die bösen Eismenschen, ist er damit aber zum Märtyrer geworden.

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