„Aber die Hoffnung bleibt“

■ Zehn jüdische WiderstandskämpferInnen aus der „Herbert-Baum-Gruppe“ trafen sich in Berlin/ Vor 50 Jahren Anschlag auf die Ausstellung „Das Sowjetparadies“

Berlin (taz) — 19. Mai 1942. Heinrich Himmler, Reichsführer der SS und Chef der deutschen Polizei, macht eine Inspektionsreise durch die besetzten Niederlande. Am Nachmittag erreicht ihn ein Telegramm: „Am 18.5.1942 gegen 20 Uhr ist von bisher unbekannten Tätern versucht worden, die Ausstellung ,Das Sowjetparadies‘ an zwei Stellen in Brand zu setzen.“

Die Ausstellung im Berliner Lustgarten ist eine antisowjetische Propagandaveranstaltung: Mit zahlreichen Fälschungen wollten die Nazis nicht nur den „Herrenmenschen“ das „Untermenschentum“ vorführen, sondern auch die nachlassende Kriegsmoral stärken.

Die Gestapo kommt den Attentätern schnell auf die Spur. Drei Tage später werden 22 Personen festgenommen, darunter sieben Juden bzw. „Mischlinge ersten Grades“, wie die politische Abteilung des Sicherheitshauptamtes Berlin am 27. Mai meldet. Sie gehören zur „Herbert-Baum-Gruppe“, die mit rund 100 Mitgliedern zwischen 1936 und '42 zu den größten Widerstandsgruppen junger Jüdinnen und Juden zählte.

Herbert Baum wurde in der Untersuchungshaft am 11. Juni 1942 in den Tod getrieben. Salah Rosenbaum- Kochmann versuchte sich nach grausamen Folterungen durch den Sturz in einen Lichtschacht das Leben zu nehmen. Weitere 28 Frauen und Männer wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet, fünfzig Verhaftete zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt und zum Teil nach Theresienstadt und Auschwitz deportiert. Als Rache für den Anschlag ermordeten die Nazis 500 Berliner Juden und Jüdinnen in Sachsenhausen, Theresienstadt und Auschwitz.

Wiedersehen nach einem halben Jahrhundert

Nach 50 Jahren kehrten zehn Überlebende der Widerstandsgruppe nach Berlin zurück, um zusammen mit Angehörigen der Toten zu gedenken. Freudig geht der Organisator des Treffens, Walter Sack, auf seine Mitkämpferin Ilse Heller zu, die inzwischen in New York lebt: „Das letzte Mal haben wir uns 1938 getroffen“, sagt der alte Mann mit wachem Blick und fügt hinzu: „Da waren wir noch jung.“ Unter den Anwesenden ist fast niemand, der direkt am Brandanschlag beteiligt war — und das rettete ihnen das Leben. Nach der Festnahme ihrer Freunde flohen sie in die USA, die Niederlande, nach Schweden und England.

Aus dem Kassettenrekorder in dem kleinen Raum der Treptower „Begegnungsstätte PRO“ ertönt die 5. Symphonie Beethovens — die Erkennungsmelodie von BBC „London calling“ in der Zeit des Nationalsozialismus. Walter Sack spricht die Begrüßungsworte: „Wir gedenken heute aller, die im antifaschistischen Kampf fielen und aller Juden und Jüdinnen, die die Nazis ermordeten.“ Ruhig und eindringlich beschreibt er die doppelte Verfolgung, denen die politisch engagierten Jüdinnen und Juden ausgesetzt waren. „Aber wir waren trotz allem junge, fröhliche Menschen“, betont er. Tatsächlich waren die meisten in der Gruppe um Baum damals im Alter zwischen 19 und 21 Jahren. Das Verhältnis zur Sowjetunion sei durch eine starke emotionale Verbundenheit geprägt gewesen: auch die Gruppe um Herbert Baum erhoffte von dort die Befreiung vom Faschismus, und so las man gemeinsam die verbotenen Klassiker Marx und Engels und besorgte sich, wenn möglich, sowjetische Romane. Den Schwerpunkt seiner Rede legt Walter Sack, der die letzten Jahrzehnte in der DDR lebte, aber auf die jüdische Identität der Gruppe.

Völlige Stille dann, als Rita Resnik-Meyer in einer Videoaufzeichnung von dem Selbstmordversuch Salah Rosenbaum-Kochmanns kurz nach der Verhaftung berichtet. Am ganzen Körper eingegipst und erblindet wird sie in den Gerichtssaal gefahren und erfährt ihr Todesurteil. Einer Freundin gelingt es, Salahs Mann noch einmal zu ihr ans Krankenlager zu schleusen, bevor sie mit der Guillotine hingerichtet wird. Die Stimme der Berichtenden zittert, aber sie schluckt die Tränen hinunter. Und auch im Saal versuchen die Menschen, ihren Schmerz zu verbergen. Gery Wolff liest zwei Kapitel aus dem Buch von Gerhard und Alice Zadek, Mit dem letzten Zug nach England. 1935 war bereits eine Kurierreise nach Hamburg für den jüdischen Autor gefährlich; ein Besuch im Warschauer Ghetto 1948 ist Erinnerungsarbeit an den Vernichtungsfeldzug der Nationalsozialisten. Dankbar nahm die Versammlung ein paar heitere Stellen auf. Wieder Schweigen beim Kaddisch, dem jüdischen Totengebet.

Draußen scheint die Sonne. In kleinen Gruppen machen sich die alten Widerstandskämpfer auf in Richtung Berliner Lustgarten, wo ein Gedenkstein für die Herbert-Baum-Gruppe steht, und zum Jüdischen Friedhof Weißensee. Sie haben Blumensträuße mitgebracht, die sie für die ermordeten Freunde niederlegen.

„Nächste Woche kommt Schönhuber in die Kongreßhalle am Alexanderplatz“, empört sich Walter Sack beim Fortgehen. „Wir werden dagegen protestieren. Die Faschisten sterben nie aus.“ Gerhard Zadek antwortet: „Aber die Hoffnung bleibt.“ Simone Erpel