: ZWISCHEN DEN RILLEN: Beasts Of Bourbon/Nick Cave & The Bad Seeds
Das Aufregende fand bei den Beasts of Bourbon immer in einzelnen Tönen statt, die so gar nicht zu ihrer Umgebung passen wollten. Dabei waren die Australier nie im klassischen Sinne atonal wie zum Beispiel Sonic Youth, sondern so verhaftet mit dem Objekt ihrer Begierde, daß sie nichts Neues schaffen konnten und wollten, sondern nur die Grenzen bis ins Unerträgliche, Unhörbare ausweiteten. So lösten sie 1989 auf Sour Mash den Blues auf: Als wäre der in eine Säurelösung geraten, hatte er seine Form gerade mal so behalten, um noch leidlich erkennbar zu sein, aber war an den Rändern blutig angefressen.
Danach rückten die aus den kultisch verehrten Scientists hervorgegangenen Beasts mit ihrer Herangehensweise eher rockigen Strukturen zu Leibe. Black Milk blieb aber etwas brav, wie auf halbem Wege stehen geblieben, war bei weitem nicht so fies, wie man es von ihnen erwarten durfte und wie es die Live-Auftritte nahegelegt hatten, bei denen Sänger Tex Perkins mit hervorquellenden Augen und epileptisch verknoteten Gliedmaßen genau die verlorenen Seelen, Psychopathen und Ausgestoßenen darstellte, die seine Texte bevölkerten.
Das neueste Album der Australier heißt The Low Road und kümmert sich wieder um Rock, auch belegt durch die ausgewählten Coverversionen: Cocksucker Blues von den Rolling Stones und Ride On von AC/DC. Daß sie von ihren Landsleuten AC/DC ausgerechnet eine Ballade ausgesucht haben, mag nicht überraschen, paßt auch ins Konzept, wäre aber nicht nötig gewesen, weil die Beasts ohne Zweifel in der Lage sind, aus jedem Song ein depressives Schauspiel zu machen. Und diesmal gehen sie den Weg konsequent zu Ende. Und wieder sind es die kleinen Töne, die aus ihren Songs etwas anderes machen. Ist es die leicht danebenliegende Gitarre; ist es eine Orgel, die überall, aber nicht hier gepaßt hätte; es sind die japsenden Laute von Perkins. Manchmal singt er wie ein völlig besoffener Elvis, eine altersschwache Musikbox begleitend.
Auch wenn die Struktur jetzt Rock ist, machen die Beasts of Bourbon immer weiter Blues. Vor allem weil ihre Blue Notes so gemein klingen, daß sie selbst für moderne Ohren noch wie Blue Notes klingen. Etwas, was man von klassischen Blues-Aufnahmen nicht gerade behaupten kann — Musik hat eben auch was mit der Zeit zu tun, in der sie aufgenommen wurde, und die Beasts of Bourbon klingen trotzdem nicht zeitgenössisch, eben weil sie zeitlos sind.
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Noch mal Destruktion, noch mal Australien, auch wenn Nick Cave inzwischen vom Australier zum Kosmopoliten, und vom Selbstzerstörer zum Chansonnier mutiert ist. Zu Beginn der 80er vertonten die nach Berlin gekommenen Birthday Party (noch vor den Einstürzenden Neubauten) die Ambivalenz zwischen der Tristesse der Mauerstadt und der landschaftlichen Weite ihrer Heimat. Als sie sich 1983 auflösten, führte Cave ihre Tradition nur bedingt fort, entfernte sich immer weiter von ihren chaotisch krachenden Vorgaben und entwickelte sich zum Frank Sinatra im schwarzen Zwirn mit dunklen Gedanken, der vorwiegend zur Beschallung Schöneberger Kneipen nach drei Uhr morgens herangezogen wurde. Seine Platten wurden immer lahmer, auch weil selbst der als Gitarrist für die Bad Seeds engagierte Blixa Bargeld langsam spielen lernte, bis zur letztjährigen The Good Son, die Cave auf dem Cover am Flügel inmitten kleiner blonder Mädchen sitzend abbildete, und auch so klang.
Der Nachfolger Henry's Dream ist dagegen überraschend lärmig geraten, auch wenn seine Texte weiterhin von Caves obskurer Spiritualität geprägt sind, dieser Ersatzreligion, die sich speist aus Klischees von zurückgelassenen Frauen in zurückgelassenen Städten, zwischen zurückgelassenen Whiskeygläsern und zurückgelassenen Zigarettenstummeln: „Oh sweet Jesus/ There is no turning back/ There is always one more town/ A little further down the track.“ Nie läßt sich entscheiden, ob Cave sich erst meint oder nur kokettiert. Ob er auch nur gewillt wäre, all sein Leiden auch wirklich zu leben, oder ob er nur seinen ganz persönlichen Film dreht. Überhaupt eine Beschäftigung, der er sich nach Drehbüchern und einigen Rollen immer mehr hingibt.
Aber das kann auch völlig egal sein, solange Cave weiterhin so hingebungsvoll die Gospels seiner neuen Kirche vorträgt, deren Prophet zu sein er allerdings ablehnt. Henry's Dream beginnt — ähnlich wie seine bisher beste und erfolgreichste Platte Tender Prey — mit einem primitiven, aber treibenden Rumpelrock namens Papa won't leave you, Henry, der seine Dramatik allein durch das wie in einem Strudel immer schneller kreisende Thema erzielt und auf einen orgiastischen Schlußpunkt zusteuert, der dann doch nicht eintreten darf. Denn Caves Antrieb und der seiner Musik ist allein die Sehnsucht, niemals die Erfüllung. Auch deswegen ist er der beste lebende weiße Soulcrooner nach Van Morrison.
Beasts of Bourbon: The Low Road. Normal/ RTD 305.0626.
Nick Cave & The Bad Seeds: Henry's Dream. Mute/Intercord 846.878.
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