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Hilferuf aus Sarajevo

■ Leichen werden wegen Seuchengefahr eingegipst

Belgrad (afp) — Aus dem ehemaligen olympischen Dorf von Sarajevo, das seit einem Monat von serbischen Milizionären eingekesselt ist, haben die Menschen dramatische Hilfsappelle an die Öffentlichkeit gerichtet. Wie aus einem der Nachrichtenagentur 'afp‘ zugegangenen Appell hervorgeht, leben in dem Stadtteil Dobrinja 30.000 bis 40.000 Menschen seit neun Tagen ohne Elektrizität. Die oberen Etagen der mehrstöckigen Häuser hätten nicht einmal mehr Wasser. Das Viertel liege unter ständigem Beschuß, so daß die Menschen nicht einmal aus dem Haus gehen könnten. Einziger Kontakt zur Außenwelt seien einige wenige noch funktionierende Telefone.

Eine Frau teilte der bosnischen Nachrichtenagentur 'BH-press‘ telefonisch mit, in ihrer Notunterkunft hätten die Menschen auf einem Treppenabsatz eine Feuerstelle aufgebaut. Dort würden nach und nach alle Möbel verbrannt, um auf dem Feuer ein paar Pfannkuchen backen zu können. Brot gebe es längst nicht mehr. Ihre Nachbarn hätten zwei tote Frauen eingipsen müssen, um die Seuchengefahr durch die verwesenden Leichen zu bannen.

Ein Universitätsprofessor, der ebenfalls in dem eingeschlossenen Bezirk lebt, sagte in einem Telefongespräch, er beherberge viele Verletzte in seiner Wohnung. Der Transport ins Krankenhaus sei viel zu gefährlich. Sobald jemand ein Gebäude verlasse, werde gnadenlos das Feuer auf ihn eröffnet, teilte er mit. Die Milizionäre hielten Wache an den Blockaden, die sie rund um das Viertel errichtet hätten. Außerdem hätten sich Heckenschützen in dem Viertel versteckt.

Die Menschen bauten den Angaben zufolge ein System von Flaschenzügen auf, mit denen die wenigen verbliebenen Nahrungsmittel von Haus zu Haus verteilt werden. Radio Sarajevo forderte die eingeschlossenen Menschen am Mittwoch auf, die Blockade durch eigene Kraft zu durchbrechen und sich im Stadtzentrum in Sicherheit zu bringen. Dobrinja liegt unweit der größten Kaserne von Sarajevo, von der aus die Stadt ununterbrochen beschossen wird, und dem Flughafen Butmir, wo die jugoslawische Armee Panzer zusammengezogen hat. Das Viertel kann ebenfalls von dem Berg Mojmilo aus beschossen werden, auf dem die Armee Stellung bezogen hat.

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